Es ist nicht einmal zwei Wochen her, da wurde der erste „TÜV-Stempel“ für ein deutsches Orchester verabreicht – es war Concerto Köln, ein Kölner Ensemble der Alte Musik-Szene. Die erfüllte Norm heißt ISO 9000 und bezieht sich auf den effizienten Einsatz von Ressourcen und die hohe Qualität innerer Abläufe – also auf die Welt „hinter der Kunst“. Die Optimierer sind da. Den Orchestern soll dies eine fassbarere Qualitätseinordnung für seriöse Partner aus der Wirtschaft schenken: Stempel da, alles OK! Eine solche Zertifizierung wurde natürlich durch das entsprechende Ministerium des Landes NRW gefördert. Kleine Prognose: kein Stempel da, nix OK, auf keinen Fall Fördermittel! Keine Fördermittel sind ja der Normalfall. Beim Stempeln müsste die Freie Szene trotzdem Pickel kriegen: Optimierung läuft immer auf Verschlankung der Personaldecke heraus. Aber wenn da nur einer ist, wer soll dann noch gehen?
Dieser Stempel wird also eine ganz große Rarität darstellen, trotzdem Glückwunsch an Concerto Köln, die vorher schon ein Erfolgskonzept verfolgten. Realität wird aber weiterhin bleiben, dass sich Ensembles und Einzelkämpfer weiter mit suboptimalen Geschäftspraktiken selbst vermarkten – wenn sich nicht eine Organisationsgesellschaft dahinterstellt. Das geschieht aber in den letzten Jahren immer häufiger, oft in Zusammenhang mit neu oder wiederentdeckten Gebäuden oder sogar Landschaften – womit wir nach diesem Exkurs aus aktuellem Anlass zum eigentlichen Thema kämen.
Ein ehemaliges Prämonstratenserkloster, in dessen langer Geschichte an einem kurzen Punkt die lebensfrohen Stiftsherren ab 1300 für ihr lasterhaftes Leben ins Gespräch kamen, wurde später im barocken Stil als Dreiflügelanlage neu konzipiert und von der Kirche getrennt. Heute erstrahlt „Schloss Cappenberg“, ein Ort für Weinliebhaber, Kunstliebhaber, Freizeithistoriker und Wanderer, als Sitz des Hausherrn Sebastian Graf von Kanitz, der es sich als Musikfreund gefallen lässt, auf seinem wunderschönen Anwesen auch ein kleines Musikfestival zu veranstalten. Zum siebten Mal und für 7 Tage rund um Pfingsten erklärt sich dieser idyllische Ort nördlich von Dortmund zu „Westfalens Mekka der Kammermusik“, und er hat einiges zu bieten. So befindet sich neben der Stiftskirche mit ihren Orgeln sogar ein akustisch tüchtiger Theatersaal im Ostflügel. Künstlerisch betreut das Fest seit der Gründung die ECHO-Klassik-Preisträgerin und begnadete Geigerin Mirijam Contzen, die in einem Satz ihr musikalisches Ziel für das Treffen außerordentlicher junger Talente aus der ganzen Welt formuliert: „Der Austausch hat hier eine andere Intensität.“
24 Solisten verbürgen sich in ausgefallenen Bearbeitungen wie Tschaikowskys Ouvertüre „Romeo und Julia“ für Klaviersextett, Mozarts Klavierkonzert KV 449 mit Streichquartett oder Messiaens exzentrischem Quartett-Hit „pour le fin des temps“ für musikalische Erlebnisse. Dazu zählen auch Erfindungen wie eine Konzertnacht mit kulinarischen Intermezzi, ein Kinderkonzert oder Kammermusiker auf Abwegen: Viele junge Klassiker jazzen in ihrer Freizeit auch mal gern.
Musikfestival 22.-28.5. I Schloss Cappenberg I Freiherr-Vom-Stein-Straße 1, Selm Iwww.musikfestival-schloss-cappenberg.de
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