Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 1
2 3 4 5 6 7 8

12.581 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

Der Wende-Dirigent: Kurt Masur
Foto: Kölner Philharmonie

Musik und Politik

01. Oktober 2009

Klingt Musik anders, wenn Masur dirigiert? - Klassik in NRW 10/09

So sehen seit vielen Jahrhunderten idealisierte Feldherren aus: straff im Rücken, von hoher Statur, ein waches Auge und ein mildes Lächeln. Kurt Masur kehrte mal wieder nach Köln zurück. Der einstige Gewandhauskapellmeister, der Dirigent der Wende, der Raum und Zeit für politische Diskussionen in Leipzig bereitstellte und der damit unmissverständlich klar machte, dass ein Konzerthaus ein Bürgerhaus sein sollte und kein affektierter Kunstpalast, dass dem Volke auch wichtig ist, was der Gewandhaus-Kapellmeister oder der Thomaskantor in weltlichen Dingen zu sagen haben – das ist natürlich über die lange Tradition und die betonte Bürgernähe dieser Leipziger Institutionen ein Spezialfall.

Masur hat damals Grenzen überschritten und wurde zu einer Wendefigur ohne Makel. Die stehenden Ovationen wollten nach dem Konzert kein Ende nehmen, obwohl im jüngsten Falle Dmitri Schostakowitschs „Leningrader“ nicht Beethovens „Freude schöner Götterfunken“ blühen ließ oder ein zugegebener Brahmstanz ungarische Pfefferaromen versprühte: Verstärkt dieser bereits legendenhafte Überbau des Gutmenschen die Wirkung der Musik?

Masur blickt auf 82 reiche Lenze, mit persönlichen Höhen und Tiefen, das gehört dazu. Künstlerisch befindet er sich in der Wahl seiner Orchester auf dem absoluten Höhepunkt. Das wäre ein erster Punkt: Führungsstärke und riskantes Engagement in der „Friedlichen Demonstration“ ermöglichten in der Folge einen rasanten internationalen Karrieresprung. Die New Yorker schnappten ihn gleich für ihre „Philharmonic“, danach kam das „Orchestre National de France“, parallel leitete er das „London Philharmonic Orchestra“ – mit den englischen Elitemusikern gastierte er jetzt in der Kölner Philharmonie.

Schostakowitsch gebar seine 7. Sinfonie, genannt die „Leningrader“, während der Belagerung Leningrads durch deutsche Truppen als Produkt des „Sowjetischen Realismus“ – die Funktionäre hörten Marsch und pathetischen Siegesgesang. Wenn Masur mit seinem englischen Orchester rund sechzig Jahre nach Kriegsende das Werk eines russischen Komponisten auf das Programm setzt, das offiziell den russischen Sieg über Hitlers Truppen vertonte, dann bietet er uns eine andere Lesart. Schostakowitsch hat in seinen erst 1989 veröffentlichten Memoiren manches korrigiert, auch zur „Leningrader“: „Ich trauere hier um alle Gequälten, Gepeinigten, Erschossenen, Verhungerten. Stalin hat Leningrad zugrunde gerichtet. Hitler setzte nur den Schlusspunkt!“ Wer Heinrich Bölls Freund Alexander Solschenizyn auf seinem „Archipel Gulag“ besucht hat, weiß, was der Künstler meint.

Deshalb ist diese Musik zeitlos und immer gegenwärtig. Masur streckte die aufgeschlagene Partitur dem jubelnden Volk entgegen: Nicht ich bin es, die Musik trägt die Euphorie in eure Herzen. Es ist nämlich nicht der Sieg der russischen Truppen, der so aufpoliert im Finale der Sinfonie glänzt. Es ist der Sieg der Courage, der Wahrheit und der Menschlichkeit. Das bleibt Masurs aktuelle Botschaft.

Olaf Weiden

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Vaiana 2

Klassik.

Hier erscheint die Aufforderung!