Heino sei ein Nazi. Das zumindest behauptete der Nasal-Hip-Hopper Jan Delay, widerrief aber eilig, als er Anwaltspost bekam. Wer auf Drängen eines CDU-Ministerpräsidenten vor 40 Jahren alle Strophen des Deutschlandliedes sang und mal vor Weißen im damaligen Apartheitsstaat Südafrika auftrat, ist also noch längst kein Nationalsozialist. Aber egal wie, auch an anderen Schauplätzen der Republik bekommt man politisch gesehen im Moment einen Drehwurm. Was ist rechts, was ist links?
Ein Kuriosum sind die neuen Montagsdemonstrationen. 1989 läuteten die Montagsdemos das Ende der DDR ein. Ende der 1990er wurden sie von anderen Akteuren wiederbelebt. Man protestierte gegen die Hartz-IV-Gesetze. Seit einigen Wochen nun werden Montagsdemos in manchen Städten von einer bunten Palette an Organisationen und Einzelpersonen veranstaltet, um gegen den drohenden Krieg in der Ukraine zu demonstrieren. Ende April fand in Berlin eine besonders skurrile Montagsdemo statt. Einer der Redner war Jürgen Elsässer. Ehemals im Kommunistischen Bund aktiv und früher Autor der linken Zeitschrift „konkret“, wetterte der Publizist, der inzwischen politischer Freund von Thilo Sarrazin ist, gegen die kriegstreibende Finanzoligarchie. Allen voran die Rothschilds würden unseren Planeten durch den drohenden Dritten Weltkrieg an den Rand des Abgrunds treiben. Es gäbe kein Rechts und kein Links mehr, die Machtlosen müssten sich gegen die Mächtigen verbünden. Manch friedensbewegt aussehender Demonstrant klatsche bei diesen Worten Beifall. Dieses absurde Theater mag hoffentlich nur eine Randnotiz sein.
Keine Randnotiz sind Rechtspopulisten. Leute wie Thilo Sarrazin oder Akif Pirinçci sind gerngesehene Gäste von Talkrunden. Anders als die militanten Rechtsextremen, die oft schon durch ihr Äußeres leicht zu erkennen sind, bieten jene rechten Anzugträger vielen Menschen aus der sogenannten bürgerlichen Mitte eine politische Heimat. Natürlich gilt es nicht als fein, Menschen islamischen Glaubens offen zu drangsalieren, zu überfallen, zu verletzen oder gar zu töten. Aber garniert mit verfälschenden Statistiken, die sehr subjektiv interpretiert werden, lassen sich rassistische Argumentationen im Fernsehsessel recht komfortabel abnicken. Sarrazin als Sozialdemokrat oder Pirinçci als Deutscher mit türkischen Wurzeln sind ja unverdächtig, Nazis zu sein. Tatsächlich würden beide diese Titulierung weit von sich weisen. Trotzdem spielen sie argumentativ auf der Klaviatur rassistischer, chauvinistischer und totalitärer Vertreter. Noch schwerer einzuschätzen ist die AfD. Ist sie eine rechtskonservative FDP oder doch der junge Spross einer erfolgreichen rechten Partei in Deutschland?
Wie aber kann dieser amorphen Masse rechtspopulistischer Positionen begegnet werden? Schon bei den Rechtsextremisten gibt es verschiedene, sich widersprechende Rezepte. Viele Demokraten fordern zum Beispiel das Verbot der NPD. Ob diese Maßnahme verfassungskonform ist, wird wahrscheinlich höchstrichterlich geklärt werden müssen. Aber ist sie auch sinnvoll? Parteien lassen sich binnen kürzester Zeit neu gründen. Gegen gewalttätige Rechtsradikale gibt es hingegen hinreichend gesetzliche Mittel, diese als Kriminelle zu behandeln. Wichtig dabei ist natürlich, dass die Strafverfolgungsbehörden auch ihre Arbeit tun. Schaut man auf die Ermittlungspannen bei der Verfolgung der Terrorakte des NSU bleiben berechtigte Zweifel. In manchen Städten aber, zum Beispiel in Dortmund, haben sich durch die Berufung neuer Polizeipräsidenten die Zustände erheblich verbessert.*
Immer offensiver geht die Polizei gegen rechte Gewalt vor, steckt bei rechten Aufmärschen hingegen in einem Dilemma. Schützt sie die Rechten nicht vor linken Gewalttätern oder umgekehrt, überlässt sie dem Mob die Straße. Soll der gewinnen, der zahlreicher kommt, schlagkräftiger auftritt und besser ausgerüstet ist? Trennt sie allerdings die verfeindeten Blöcke, wird sie oft von beiden Seiten zumindest verbal attackiert.
Noch schwieriger ist der Umgang mit Populisten. Auch in den Talkshows regiert oft die Macht des Stärkeren. Redaktionen laden die Gäste ein, die Quote versprechen. Im modernen Gladiatorenkampf sind nachdenkliche Töne nicht gefragt. Deshalb gibt es oft die Forderung, rechte Positionen zu ignorieren, zu boykottieren. Aber hilft Schweigen gegen Lärm? Manchmal wäre eine Psychologisierung hilfreich. Was würde geschehen, wenn man einen Jürgen Elsässer, einen Thilo Sarrazin oder einen Akif Pirinçci fragen würde, warum sie so viel hassen müssen? Fehlt denen, denen die Muttersprache fehlt, nicht die Mutter? Fehlt denen, denen das Vaterland fehlt, nicht der Vater? Ein Sarrazin mit Tränen in den Augen wäre ein großer Moment deutscher Fernsehunterhaltung.
* Am Abend des 25.5., nach Redaktionsschluss unserer Juni-Ausgabe, stürmten ca. 20 gewaltbereite Neonazis die Wahlparty im Dortmunder Rathaus, als Anführer fungierte Neonazi Siegfried Borchardt, Spitzenkandidat der Partei „Die Rechte“ und besser bekannt als „SS Siggi“. Anhand der einheitlichen TShirts war erkennbar, dass es sich um Anhänger der 2012 verbotenen Vereinigung „Nationaler Widerstand Dortmund“ handelte. Sie skandierten mit „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ bekannte Parolen und attackierten Menschen, die sich ihnen in den Weg stellten, mit Pfefferspray und Glasflaschen.
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