Mancher hält Philosophen ja für weltfremd. Sollte das der Grund sein, warum das Buch schon viel Ablehnung erfuhr, das Mitautor Daniel-Pascal Zorn nun im Essener Correctiv-Buchladen vorstellte? „Mit Rechten reden" heißt der Stein des Anstoßes, ein Gemeinschaftswerk des promovierten Philosophen mit Per Leo, einem Historiker und Literaten, und Maximilian Steinbeis, einem Juristen mit einem Schwerpunkt in Verfassungsfragen. „Leo | Steinbeis | Zorn" auf dem Titel: Das klingt auch ein bisschen, als wünschten die drei sich als Standardwerk in die juristische Handbibliothek.
Gründe für den Protest werden andere sein: Das Buch stellt Möglichkeiten eines Dialogs mit politisch rechtsorientierten Menschen vor, und Zorn ließ im Gespräch mit Correctiv-Journalistin Cristina Helberg keinen Zweifel, dass er diesen Umgang mit AfD und Co. für geboten hält – und für den klügsten. „Wir müssen begreifen, dass die Rechten schon seit Jahren mit uns reden", dekretierte er mit Akzent auf dem „uns", als frechen Konter zur bekannten Gegenthese, die da meint: mit Rechten reden, das geht nicht, es wertet auf und ist gefährlich.
Das ist ein Einwand, der auf Effizienz abzielt, der also mit der Wirkung argumentiert: einem Mangel an guter, einem Zuviel an schlechter. Wer als Gesprächspartner akzeptiert ist, der ist demnach salonfähig; er hat das fatale Ziel schon erreicht, Teil unserer politischen Kultur zu sein. Wollte man allerdings Zorn et al. tatsächlich der Weltferne zeihen, wäre das so unfair wie schräg, denn ihr Ansatz ist ebenfalls und geradezu penetrant auf Effizienz aus. „Wenn wir reagieren, machen wir diese Erzählung plausibel": Solch eine Feststellung Zorns erklärte ein populäres Verhalten gegen Rechts rundheraus für kontraproduktiv, nämlich die Form der knappen Ablehnung von „Unsagbarem", die letztlich den Vorwurf bestätige, man dürfe ja über Wichtiges nicht reden. Ein Vorwurf, mit dem die AfD sich Zulauf sichere. Eine gravierende Behauptung stellen die Autoren da auf: Front von links sei ihrerseits fatal, linke Konsequenz ein rechter Bärendienst.
„So wird dieses Narrativ eine reale Erzählung." Solche Aussagen könnten dazu verleiten, das Buch fälschlich im akademischen Elfenbeinturm zu verorten. Fälschlich deshalb, weil das Buch und Zorn schnell konkret werden und Handlungsvorschläge fürs Reden an die Hand gaben. „Mehr Fragen stellen, die klug sind!", empfahl der Gast zum Beispiel, oder auch: „Schweigen Sie dort, wo es sinnvoll ist!" Und an die Adresse der Medien: Andere Formate erproben. Die üblichen Interviews dagegen seien binär statt vielstimmig, Talkshows wiederum auf Unterhaltung aus und letztlich Profiteure von Eskalationen. Unpraktisch also scheint der Ansatz keineswegs. Plausibel bleiben aber auch die Bedenken seiner Kritiker. Wie Zorn berichtet, erfuhren dem Buch und dessen Autoren massiven Protest vor allem von linker Seite. Doch hätte man damit nicht rechnen müssen? Nach dem Dritten Reich, man weiß das, gab es beste Gründe, auf klare Kante zu setzen. Auch nach der Erfahrung, dass derlei Konsequenz in der Nachkriegszeit allzu oft fehlte. Die Achtundsechziger wollten dann Ernst machen mit den Idealen, träumten nicht nur, sondern machten mobil und gingen daran, die Ideale in der Gesellschaft zu verankern; viele wurden Lehrer. Manche zeigen heute Solidarität mit blockierenden Antifas.
Das ist alles bekannt, aber es scheint nicht immer bewusst. Denn verwundern dürfte die Vehemenz sonst eigentlich nicht, die Versuchen wie diesem entgegen schlägt – ähnlich auch lokalen Veranstaltern, die aus Gesprächsrunden die AfD nicht ausladen und Attacken erfahren. Ist es nicht das Herzblut des Idealismus? Und ist es nicht das gekränkte Selbstverständnis des Lehrers, dessen Lektionen aus bester Absicht nun immer seltener Maßstab sind? Wer nicht gerade konsequenter Antiautoritärer ist, beginnt doch jeden didaktischen Vorstoß mit dem Ziel, dass sein Inhalt Fuß fasst. Eine gute Lehre, die nicht obsiegen will, ist eigentlich keine.
Wenn heute der AfD-Politiker Alexander Gauland vor Millionenpublikum Verbrechen der Wehrmacht relativiert; wenn Vertreter einer Partei zum Plausch geladen werden, die in Teilen völkisch tickt oder von von „Schuldkult" redet: dann scheint das in der Tat mühsam aufgebauten Prinzipien Hohn zu sprechen. Es stimmt ja: Konsequenz sieht anders aus. Und so mag dies ein Konzept wie „Mit Rechten reden" am besten treffen: Es ist nicht ideologisch, sondern pragmatisch. Das zu bewerten, ist dann vielleicht Sache des persönlichen Geschmacks.
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