Was er auf dem Rücken tätowiert hat, möchte Steven Hartung nicht verraten. Äußerlich sind das die letzten Spuren seines „ersten Lebens“: auf seinen Armen stehen noch rechte Parolen. Irgendwann hat er angefangen, diese Zeichen entfernen zu lassen. Inzwischen könne er wieder kurze Hosen tragen. Dass er mal eine Führungsfigur der Neonazi-Szene war, sieht man ihm ansonsten nicht an: Dreadlocks, offenes Hemd, Turnschuhe – Steven Hartung erscheint eher wie der alternative Student. Mittlerweile steht er fest in seinem zweiten Leben und studiert Philosophie und Soziologie. Von seiner Vergangenheit hat er sich verabschiedet.
Wie es zu dieser kam, das erzählte er den vielen BesucherInnen, die sich in das überfüllte Institut des Schauspiel Dortmund drängten: Den ersten Kontakt zur rechten Szene hatte er schon mit 13, als er in der Schule eines Thüringer Dorfes mit einigen Leuten ins Gespräch kam und ihm CDs und Texte in die Hand gedrückt wurden. „Wir haben zusammen getrunken und gefeiert“, sagt Hartung. „Meine einzigen Bezugspersonen waren irgendwann alle in der rechten Szene verankert.“
Nebenbei ging er auf Demos und machte bei politischen Aktionen mit. MigrantInnen gab es in Thüringen allerdings kaum. „Der Hauptfeind waren Demokraten und Linke“. Gewalt gegen diese Feinde gehörte zur Tagesordnung. Doch Steven Hartung war eher der Organisator und Agitator, mit 15 war er schließlich eine feste Größe bei den Kameradschaften. Irgendwann wurde er sogar gefragt, ob er für die NPD antreten will. „Doch die waren mir damals zu demokratisch“, erinnert sich der 27jährige. Er wollte den „Tag X“, wollte lieber den „revolutionären“ Kampf führen. So kam er schließlich zu den autonomen Nationalisten, trug schwarze Caps und Windbreaker – kaum zu unterscheiden von Linksautonomen. Schnell stieg er zur Führungsfigur auf; kannte etwa den NSU-Strippenzieher Ralf Wohlleben. „Er war damals ein guter Freund von mir“, so Hartung, der auch beste Kontakte zur westdeutschen Nazihauptstadt pflegte: „Es ging nicht, ohne dass wir Dortmund einbezogen haben, es war eines der wichtigsten Zentren.“ Als der Terror des NSU aufflog, kam es für ihn trotzdem überraschend: „Es gab immer wieder Bestrebungen, solche Zellen aufzubauen, aber es war nicht so, dass der NSU in der Szene bekannt war.“
Irgendwann wollte er die „Feinde“ besser verstehen und las deren Texte. Er begann, an der faschistischen Ideologie zu zweifeln, sich mit anderen Ansichten auseinanderzusetzen. Er las Marx und andere Philosophen, sprach mit Freunden, die mittlerweile in der linken Szene waren. „Es waren viele Punkte, die dazu geführt haben. Dann kam schließlich der Punkt, an dem ich den Bruch wollte.“ Später wendete er sich an das Aussteigerprogramm „Exit“.
Zuweilen gibt es noch Vorwürfe aus der linken Szene, dass er zwar raus sei, aber es nicht ideologisch verarbeitet habe. „Manche denken, einmal Nazi, immer Nazi“, sagt er. „Ich kann nicht mehr gut machen, was ich getan habe, aber ich habe eine Verantwortung für das, was ich getan habe.“ Nach der Veranstaltung diskutiert er noch weiter. „Bist Du von einem Extrem ins andere gekommen?“, fragt ihn eine Besucherin. Da muss er lachen. Eloquent bezieht sich der Philosophiestudent auf so manch bekannten Gesellschaftskritiker. Denn der „Tag X“, für den er damals so fanatisch kämpfte, ist auf einmal wieder ein Thema, wenn er auf die Zustände in Deutschland, Polen oder Europa schaut: „Wäre ich noch in der rechten Szene, würde ich sagen, es fruchtet endlich. Es gab einen Tabubruch.“ Rechte Ideen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Vielleicht hat ihn doch seine Vergangenheit eingeholt: Heute kämpft Steven Hartung wieder, aber auf der richtigen Seite.
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