trailer: Herr Schoepp, was gehört zu einer guten Freundschaft?
Sebastian Schoepp: Eine gute Freundschaft entwickelt sich. Bestimmte Menschen eignen sich besonders für die Freundschaft und andere weniger. Es gibt schon unterschiedliche Ansprüche daran. Es gibt Menschen, denen reicht ein guter Freund, eine gute Freundin fürs Leben. Manche sagen, sie brauchen das gar nicht und die Familie würde ihnen reichen. Auch das ist natürlich komplett legitim. Und es gibt wieder andere, die müssen immer mindestens zwanzig Leute um sich haben und nennen die auch alle Freundinnen und Freunde. Eine ganz andere Dynamik kommt noch hinein, wenn man über soziale Netzwerke befreundet ist. Da gibt es oft Zweifel daran, ob das wirklich als Freundschaft gelten kann. Also ist die sogenannte Facebook-Freundschaft überhaupt eine Freundschaft? Ich sage immer, eine Freundschaft kann schon digital stattfinden, aber sie sollte immer eine analoge Basis haben. Also, wenn ich mit jemandem befreundet bin, jemanden gut kenne und der Kontakt auf Dauer angelegt ist, spricht überhaupt nichts dagegen, wenn man mal, von mir aus sogar über ein paar Jahre hinweg, nur digital kommuniziert. Aber man sollte sich immer wieder zwischendurch auch sehen. Es liegt natürlich auch eine Chance darin, sagen wir mal, wenn man zum Beispiel eine Freundschaft hat, die analog entstanden ist und die man auf Facebook weiterführt, mit jemand, der sehr weit entfernt lebt. Das ist an sich eine ganz gute Methode, um eine Freundschaft auch ein bisschen auf Stand-by zu stellen.
„Freundschaft ist im biologischen Sinne nutzlos“
Was zeichnet eine Freundschaft aus, etwa gegenüber einer Liebesbeziehung?
Eine Liebesbeziehung ist nicht freiwillig, nach strenger Definition. Wenn sie sich verlieben, trifft sie das wie einen Donnerschlag. Hoffentlich jedenfalls. Verliebtsein ist ein emotionaler Ausnahmezustand. Und ganz streng genommen, hat die Verliebtheit ja auch einen biologischen Sinn, nämlich den der Fortpflanzung. Klar, wir denken da heute natürlich anders drüber, aber das ist der eigentliche Zweck. Wenn sie sich verlieben, müssen sie das also leider ein bisschen. Das merkt man besonders, wenn man unglücklich verliebt ist. Wie schwer es ist, da dann wieder aus dieser klebrigen Traurigkeit rauszukommen. Sie müssen aber mit niemandem befreundet sein. Freundschaft ist im biologischen Sinne daher nutzlos. Und das ist das, was sie gerade so reizvoll macht. Die antiken Denkerinnen und Denker haben es auch so definiert, dass die Freundschaft den Menschen eigentlich erst zum Menschen macht. Denn nur Menschen können wirklich befreundet sein. Tiere haben Herdentrieb, Fresstrieb, haben Fortpflanzungstrieb. Aber dieses darüber hinausgehende, dieses Ätherische, Schwingende, was die Freundschaft hat, das ist etwas, was tatsächlich nur der Mensch kann. Zumindest nach Ansicht der antiken Philosophen. Und eine Freundschaft führt eben auch nicht zu Weiterungen, zu Familiengründung oder zu rechtlich bindenden Verpflichtungen. Deswegen wirkt sie auch oft so erleichternd, ist mit so viel Leichtigkeit verbunden, weil man sich zu einer Freundschaft eben freiwillig entschließt. Das ist der Hauptunterschied zur Liebesbeziehung oder auch zu Familien. Freundschaft ist eine Art Wahlfamilie. Sie als Alternative zur biologischen Familie zu betrachten, ist ein Ansatz, der eigentlich schon in den 70ern entstanden ist. Ich war ein großer Anhänger dieser These in den 80er- und 90er-Jahren. Es war damals sehr populär zu sagen „Ich brauche diese festgelegten Bindungen und juristischen Verpflichtungen nicht“. Das ist die für mich gültige und auf Freiwilligkeit fußende Alternative. Allerdings ist das ein bisschen aus der Mode gekommen. Heute wird es kaum noch propagiert. Es gibt eine gewisse Sehnsucht nach der Kleinfamilie, soziologisch gesehen. Tatsächlich oder faktisch leben viele Menschen nach dem Prinzip der Wahlfamilie, was damit zu tun hat, dass heute eine große Mobilität an der Tagesordnung ist und Familiengründung immer schwieriger wird. Familien zersplittern ja auch immer mehr. Da hat die Freundschaft eigentlich eine große Chance, wieder als Möglichkeit, als Alternative einzuspringen, um die Menschen emotional aufzufangen. Die Ampelregierung hatte ursprünglich vor, eine freiwillige Verantwortungsgemeinschaft juristisch zu verankern. Wahrscheinlich haben Sie anderes zu tun oder sind an anderen Fronten beschäftigt. Zumindest ist mir das Thema nicht mehr untergekommen, was ich persönlich sehr, sehr schade finde.
„Digitale Nomad:innen brauchen ein anderes Modell“
Ja, das war ein ganz spannender Punkt.
Genau, ein sehr spannendes Thema. Ohne, dass man verheiratet sein muss oder familiär in irgendeiner Weise gebunden, kann man nach diesem Modell füreinander einstehen. Dabei muss man sich auch nicht, wie zum Beispiel in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, in irgendeiner Weise verpflichten. Es muss keine erotische Liebe zugrunde liegen. Darüber hinaus schafft man durch die Verantwortungsgemeinschaft auch die Möglichkeit für Menschen, die ‚nur‘ befreundet sind, im juristischen Sinne füreinander einzustehen – ein ganz interessanter Ansatz. Gerade in unseren sich verändernden Zeiten, in unseren sehr mobilen Zeiten, gibt es viele digitale Nomadinnen und Nomaden, die im Grunde ein anderes Modell brauchen als die klassische Kleinfamilie.
„Die Freundschaft fristet ein Schattendasein“
Also gibt es wieder ein Bedürfnis nach der Kleinfamilie, die aber im Alltag schwer zu organisieren ist, zumal mit Kindern. Daher zugleich der große Zuspruch zur Wahlfamilie?
Ja. Ich würde sagen, wer jetzt eine biologische Familie hat, wird sich erst mal nicht für eine Wahlfamilie entscheiden. Meine Idee, dieses Buch zu schreiben, kam erst mal aus der Corona-Zeit heraus, wo man natürlich viel über Sozialbeziehungen diskutiert hat. Aber speziell die Freundschaft steckt in der Krise, weil sie als Sozialbeziehung nicht mehr ernst genommen wird. Wir sind sehr vertaktet in unserem Berufs- und Familienleben. Da werden die großen Entscheidungen getroffen. Und die Freundschaft fristet zum Teil ein Schattendasein darin. Das war in anderen Epochen der Menschheit anders. Ich habe das alte Griechenland schon angesprochen, das ist natürlich sehr lang her. Aber auch im Idealismus, unter Goethe und Schiller, gab es berühmte Dichterfreundschaften. In der Zeit hat man die Freundschaft sehr stark idealisiert und emotional untermauert. Im 20. Jahrhundert ist das dann etwas in Vergessenheit geraten, weil die Kleinfamilie plötzlich als Nukleus des Staates angesehen wurde. Das war der eigentliche Grund, warum ich mir gedacht habe, man könnte die Freundschaft von ihren Funktionen und ihren Möglichkeiten her beleuchten.
Aus ihrem Schattendasein zu befreien …
... herausholen, genau. Wer sehr stark auf die biologische Familie fixiert ist, steht natürlich oft dumm da, wenn Beziehungen auseinandergehen, Familien scheitern, und dann überhaupt keine Sozialbeziehungen mehr da sind. Die Freundschaft kann einen da schon auffangen. Oder gerade auch dann, wenn Menschen älter werden. Denn, wenn ein Angehöriger verstirbt, dann ist es nicht schlecht, noch auf einen Freundeskreis zurückgreifen zu können.
„Weil man daran wächst, wenn man sich mal fetzt“
Was ist in der Freundschaft erlaubt und was nicht?
Also, was auf jeden Fall erlaubt, aber ein bisschen aus der Mode gekommen ist, gerade beim Streit über die uns allen bekannten gängigen Themen, wo sich die Geister scheiden, sind Meinungsverschiedenheiten. Da werden Freundschaften aufgekündigt, da wird man entfreundet, wenn jemand in den gängigen Themen einer anderen Meinung anhängt als der andere. Nicht nur auf Facebook, sondern auch analog. Diesen Trend finde ich sehr schade. Meinungsverschiedenheiten sind definitiv erlaubt, können die Freundschaft sogar sehr befruchten. Weil man einfach daran wächst, wenn man sich mal fetzt.
„Man muss in der Freundschaft ganz, ganz vorsichtig sein“
Sie sprechen jetzt die Filterblasen an, in denen wir uns bewegen und denen wir auf Social Media auch erliegen?
Ganz genau, Filterblasen sind keine Freundschaftskreise. In ihnen ist eben nur die gemeinsame Meinung die Basis. Und eine Freundschaft muss schon weitergefächert sein. Es sollte noch andere Themen geben als die gemeinsame Meinung zu dieser oder jener Angelegenheit. Dass wir eben den gesamten Menschen ansprechen und erfassen. Meinungsverschiedenheiten sind erlaubt. Was in der Freundschaft nicht erlaubt ist: Überhöhte Erwartung und Druck ausüben. Eine Freundin oder einen Freund ständig mit Erwartungen quälen, was er oder sie tun soll. Das nervt auf Dauer. Weil dann eben diese Freiwilligkeit nicht mehr gegeben ist und diese Gleichheit genauso wenig. Wenn einer zur Klette wird, ist die Freundschaft meistens erledigt. Das ist das Sensible in der Freundschaft. Und das ist auch das, was sie so stark von der Familie unterscheidet. Deswegen muss man in der Freundschaft ganz sensibel und ganz, ganz vorsichtig sein, was man erwarten kann. In aller Regel macht eine Freundin oder ein Freund das, was er oder sie tut, freiwillig für einen. Ohne, dass man drängeln oder an die Tür wummern muss.
„Wir sind sofort wieder im Gespräch gewesen“
Lassen sich alte Freundschaften wiederbeleben?
Na, selbstverständlich. Das merkt man ja immer gleich, ob das geht oder nicht. Da kommt wieder die berühmte Schwingung ins Spiel. Wenn Sie sich zehn Jahre nicht gesehen haben oder sogar noch länger und sich dann wieder treffen, merken Sie gleich: Oh, der hat sich verändert oder eben überhaupt nicht. Im besten Fall springt der Funke sofort wieder über und man kann einfach nahtlos anknüpfen. Da können auch viele Jahre dazwischenliegen. Als ich das Buch recherchiert habe, habe ich einen alten Schulfreund von mir wieder angerufen, mit dem ich sehr, sehr eng befreundet war. Wir haben uns aus den Augen verloren – wie das oft so ist, in der Teenagerzeit mit 16, 17. Hatten uns damals auch regelrecht zerstritten. Ich habe ihn dann fast mehr als dreißig Jahre nicht gesehen. Als ich ihn angerufen habe, sind wir sofort wieder im Gespräch gewesen. Wir haben uns auch sehr oft getroffen seitdem, sind zusammen wandern gegangen, obwohl er am ganz anderen Ende Deutschlands wohnt. Die Freundschaft ist richtig wieder neu erstanden. Ich würde fast sagen, sie ist sogar noch interessanter geworden als damals. Wir sind eben keine Kinder mehr, sondern stecken jetzt tief im Erwachsenenalter. Also diese alten Freundschaftsbande, die sind schon wichtig. Ich meine, man muss nicht krampfhaft alte Freunde aus irgendwelchen alten Notizbüchern rauskramen. Aber wer das Bedürfnis hat, der sollte es tun.
„Es kommt auf den Typ an“
Pflegen Frauen ihre Freundschaften anders als Männer?
Große Frage. Da habe ich ein eigenes Kapitel zu geschrieben. Es gibt in der Soziologie eine Definition dafür, die besagt, Frauen pflegen Face-to-Face-Freundschaften. Man hat da das Bild vor Augen von zwei Freundinnen, die sich im Café gegenübersitzen, die Köpfe eng zusammenstecken, miteinander lachen und sich dabei ansehen. Da geht man von einer größeren Emotionalität aus. Und bei Männern, dem soziologischen Begriff nach Side-by-Side: Sie sitzen im Fußballstadion nebeneinander und gucken aufs Spielfeld. Das ist eine Definition, die ewig lange Gültigkeit behalten hat. Doch ich glaube, dass man sie inzwischen in die Mottenkiste stecken könnte. Das ist schon sehr klischeehaft. Zurzeit reden wir ja sehr viel über sich verändernde Geschlechterrollen. Die Freundschaften, die ich zu Männern unterhalte, können auch emotional sein. Und die, die ich mit Frauen habe, können auch sehr technisch-sachlich sein. Es kommt einfach auf den Typ an. Ich finde es ein bisschen holzschnittartig und altbacken, das noch so kategorisieren zu wollen. Aber gut, die Soziologie hat diese Begriffe sehr lange benutzt. Und es war eigentlich auch eine Zeit lang Mode, davon zu sprechen, dass Frauenfreundschaften ganz anders sind als die der Männer. Doch ich glaube, das beginnt sich zu ändern (lacht).
„Es ist schlecht, wenn einer sich die ganze Zeit im Obligo fühlt“
Muss man sich Freundschaft auch leisten können?
Sie meinen, es braucht Geld, um miteinander ausgehen zu können? Einen Aspekt gibt es schon. Es ist nicht leicht, wenn sehr Reiche mit sehr armen Menschen befreundet sind. Da ist eben dieses Prinzip der Gleichheit nicht mehr gegeben, das Grundlage jeder Freundschaft ist. Nach klassischer Definition ist die Freundschaft ja eine freiwillige Sozialbeziehung unter Gleichen. Wenn einer ständig zahlt, weil der andere nicht kann, bringt es diese Gleichheit ins Wanken und ist für den, der nicht zahlen kann, möglicherweise unangenehmer als für den, der immer zahlt. Es ist schlecht, wenn einer sich die ganze Zeit im Obligo fühlt. Also praktisch wie jemand, der Schulden macht und nicht zurückzahlt. Da tritt auf die Dauer ein Ungleichgewicht ein. Was nicht heißt, dass nicht auch Menschen aus unterschiedlichen Schichten gut miteinander befreundet sein können. Aber man muss eine gemeinsame Basis finden. Dass man nicht dauernd zum Luxus-Italiener geht oder den einen ständig in Verlegenheit bringt. Und, dass man aufeinander eingeht. Meistens bilden sich Freundschaften in ähnlich gelagerten sozialen Gruppen. Das ist einfach ein Fakt. Doch es spricht gar nichts dagegen, dass jemand, der sehr reich ist, auch mit jemandem befreundet sein kann, der arm ist. Man muss versuchen die Freundschaft vom Materiellen wegzuführen und andere Sachen zu machen, wandern gehen oder etwas, wobei das nicht so auffällt. Ich denke, das lässt sich gut steuern. Dass Freundschaft Geld kostet, würde ich also nicht sagen – nicht automatisch.
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