Vielleicht gab es sie schon immer, diese Korrespondenz zwischen dem Horrorgenre und dem Kapitalismus: von den Schauergeschichten der Schwarzen Romantik, die Identitäts- und Gesellschaftskrisen verhandelten, über die Kannibalismus-Motive der Vampirgeschichten oder George Romeros konsumkritische Zombieparabeln bis zu gegenwärtigen Schockern wie „Squid Game“, die ein neoliberales Konkurrenzprinzip ins blutige Gemetzel überhöhen.
Auch Philipp Böhm knüpft mit seinen Erzählungen an dieses Genre an. Zumindest zum Teil, wie er bei seiner Lesung im Literaturhaus Dortmund verrät: „Ich bin mit dieser Horrorliteratur aufgewachsen, auch die Filme mag ich ästhetisch“. Dabei drehen sich Böhms Geschichten um die prekäre wie moderne Arbeitswelt. Doch dieser Leistungszwang stürzt viele seiner Protagonist:innen in den Wahnsinn, in die Erschöpfung, in Alpträume oder in brutale Gewaltspiralen.
Surreale Start-ups
Böhm greift damit einen Trend auf, der sich in den letzten Jahren in der Gegenwartsliteratur beobachten lässt: eine Hinwendung zur Arbeitswelt und Klassengesellschaft, die im Ausgang französischer Intellektuellen-Stars wie Eribon oder Louis in vielen Neuerscheinungen autofiktiv geriet. Auch Böhm erlebte viele Arbeitsverhältnisse selbst, schuftete in einer Textilfabrik und ging später in ein Start-up. Gerade diese New Economy mit ihrem Business-Denglisch und den neoliberalen Bekenntnissen mute seltsam an, so Böhm: „Die Start-up-Kultur hat etwas sehr Surreales, auch in ihrer Selbstdarstellung“. Die absurde Welt der Start-ups und Agenturen formt das Denken in Böhms Kurzgeschichte „German Content Superstar“. Das Großraumbüro, in dem die Werktätigen ihre MacBooks aufklappen, ähnelt eher einem Loft, der Boss nennt sich hier „Head“. In einer Passage trommelt er alle zusammen zu einem Meeting. Das gesamte Marketingteam soll kreative Ideen brainstormen. „Jeder gibt sich Mühe, besonders geschäftig zu wirken. Alles ist möglich. Alles ist lösbar. Ich spüre die Verzweiflung und sie interessiert mich sehr“.
Konkurrenz und Egoismus
Gerade vor dem Hintergrund biografischer Erfahrungen habe sich Böhm mit der Frage auseinandergesetzt, wie und warum Menschen überhaupt arbeiten. „Es ist das Feld, mit dem sich die Menschen am meisten im Alltag beschäftigen müssen“, so der Schriftsteller. „Aber die Lohnarbeit ist nicht da, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern sie ist mit Arbeitszwang verbunden“. Dass eine Gesellschaft, in der die Mehrheit nur überleben kann, indem sie ihre Arbeitskraft vermarktet, nicht nur in Konkurrenz und Egoismus mündet, sondern auch in Gewalt, findet sich in der Kurzgeschichte „Sterben mit den Philistern“. Darin pflegt eine Clique ein routiniertes Ritual, um der Depression zu entkommen: Sie gehen auf Diplomatenjagd. Eine Schilderung, die an Anthony Burgess‘ Dystopie-Klassiker „Uhrwerk Orange“ erinnert, die zugleich aber auch Punk-Motive aufgreift, wie Böhm verrät: „Ich mag dieses Lustig-Destruktive“. Gleichwohl möchte er das Publikum mit seinen Geschichten über den Horror der Leistungs- und Arbeitsgesellschaft nicht hoffnungslos zurücklassen. Gerade gewerkschaftliche Organisation eröffne die Möglichkeit eines Widerstands, wie Böhm betont: „Das ist ein Punkt, wo es besser werden kann“.
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