Rebecca Horn ist die zehnte Preisträgerin des Wilhelm-Lehmbruck-Preises und die erste Frau, die diese renommierte und nur selten verliehene Auszeichnung erhält. Auch wenn man nicht alles in ihrem Werk mag und manches vielleicht zu effektvoll findet, so ist sie doch zweifelsohne eine Pionierin der jüngeren Kunstgeschichte, weltweit geachtet und mit einigen ihrer kinetischen Installationen, filmischen Arbeiten und Performances im kollektiven Gedächtnis der Gegenwartskunst fest verankert. Mit ihren zentralen Fragestellungen, die um Körperlichkeit, Erinnerung, historisches Bewusstsein und zwischenmenschliche sowie gesellschaftliche Verantwortung kreisen, berührt sie Aspekte, die sich schon in den Skulpturen des Namensgebers, des expressionistischen Bildhauers Wilhelm Lehmbruck, manifestiert haben.
Geboren 1944 in Michelstadt, hat sie an der Hochschule der bildenden Künste Hamburg studiert; seit 1989 hat sie selbst eine Professur an der Universität der Künste inne. Wichtig für ihr Werk ist ihr Aufenthalt in New York, wo sie in der stilistischen Gemengelage der Avantgarde 1972-1981 ihren eigenen Weg findet. So tragen ihre Performances, bei denen sie etwa mit einer Maske mit applizierten Stiften zeichnet, zur Richtung der Body-Art bei. Andere Aktionen sind darüber hinaus reich an märchenhaften Erzählungen, etwa wenn sie, bandagiert und mit einer meterhohen Kopfdeckung im Wald, auf ein Einhorn verweist. Rebecca Horn bringt durch Hinzufügung metaphysischer Aspekte das zärtlich Tastende von Fühlern mit der Fesselung zusammen. All dies kehrt bis heute in ihren Objekten und Installationen wieder. Einige davon sind nun in der retrospektiv angelegten, sparsam inszenierten Ausstellung im Lehmbruck-Museum zu sehen.
Im „Dialog der Hämmer“ (1995) blicken die Schlagköpfe dreier Metallstäbe in verschiedene Richtungen. Sie beginnen ohne Rhythmus und ohne aufeinander abgestimmt zu sein, gegen die Wand zu hämmern, geraten in eine Interaktion, aus der sie sich wieder lösen und ihre Aktivität zu unterschiedlichen Zeitpunkten beenden. Geschildert sind Widerspruch, Aggression und Zustimmung. Und bei der berühmten „Pfauenmaschine“, die auf der documenta 1982 gezeigt wurde und in Duisburg wieder im Einsatz ist, richten sich 31 Metallstäbe sachte zum Fächer, mit einer Höhe von dreieinhalb und einer Breite von fünf Metern, auf. Die Langsamkeit dieses Prozesses vermittelt eine Spannung, bei der man geradezu die Luft anhält, und die dann schlagartig wieder abfällt, bevor sie sich allmählich neu aufbaut.
Dieser dramaturgische Verlauf hin zum theatralischen Höhepunkt mit der anschließenden Beruhigung ist typisch für viele der Maschinen von Rebecca Horn. Sie spricht damit Charakterzüge und geistige Befindlichkeiten an und führt uns die menschliche Existenz mit sparsamen, oft humorvollen Mitteln vor Augen. Dazu gehört die ruppige Abweisung ebenso wie die Inbesitznahme oder das Umgarnen mit Texten, wie sie in den Trichtern des riesigen „Schildkrötenseufzerbaumes“ (1994) zu hören sind. Zwischen diesem Repertoire ahnungsvoller Offenheit und konkreter Referenz, die etwa auf zeitgeschichtliche Geschehnisse – wie den Holocaust – Bezug nehmen, wechseln auch die ganz neuen, in Duisburg erstmals gezeigten „Hauchkörper“. Mit ihnen meldet sich Rebecca Horn nach schwerer Erkrankung wieder in der Kunst zurück.
Auf einer Sockelfläche wiegen sich überlebensgroße Stäbe sacht wie Schilf oder wie Menschen, die miteinander kommunizieren. Am eindrucksvollsten ist „Aus dem Mittelalter entwurzelt“ (2017). Aus einem Paar Schuhe, das in Bronze gegossen ist, ragt je ein Messingstab empor und schwingt leicht hin und her: wie der tastende Versuch, das Laufen zu erlernen oder sich dessen zu erinnern. Autobiographisches und Allgemeingültiges treffen zusammen – dazu reichen Rebecca Horn ganz wenige Gesten.
Rebecca Horn – Hauchkörper als Lebenszyklus | bis 2.4. | Lehmbruck-Museum Duisburg | www.lehmbruckmuseum.de
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