Was wurde Alicja Kwade nicht in den Himmel gelobt und international gefeiert! Wo wird ihr Werk nicht überall ausgestellt! Kwade, die 1979 in Kattowitz geboren wurde, an der UdK in Berlin studiert hat und mit ihrem Studio dort ansässig ist, ist so etwas wie eine Botschafterin für die zeitgenössische Skulptur. Und dann sitzt sie im Lehmbruck Museum, souverän und ausdrucksstark, und muss sich von den wohlmeinenden Sponsoren der Ausstellung anhören, sie würde ihr Inneres nach außen kehren und sie sei „kreativ“ – und Kwade richtet das eine Mal die Augen leicht nach oben und zieht das andere Mal ganz kurz die Mundwinkel nach unten. Später, beim gemeinsamen Rundgang, versteht man freilich, was die Sponsoren meinten, und doch tut das Biographische nichts zur Sache.
Alicja Kwade ist Bildhauerin und sie ist Konzeptkünstlerin vor dem kollektiven Erfahrungshorizont unserer Zivilisation. Sie unterläuft Erwartungen, provoziert Verirrungen im Selbst und kehrt gängige Kategorien um. Dazu greift sie auf eine Vielzahl an Medien zurück, wobei die plastische Ausformulierung, Masse und Oberfläche, Doppelungen und Spiegelungen ihr Werk bestimmen. Bildhauerin ist sie auch im Aufgreifen physikalischer Gesetzmäßigkeiten, zu denen sie im Austausch mit der Fachwissenschaft steht. Im Grunde geht es ihr um die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält und wie wir uns in dieser als individuelle und gemeinschaftliche Wesen behaupten und wahrnehmen; damit berührt sie philosophische Gedanken existenzieller Befindlichkeit.
Ihr Werküberblick in Duisburg beginnt mit einer frühen zweiteiligen Fotoarbeit mit dem Halbporträt von hinten, einmal von rechts und einmal von links. Aber nur einmal handelt es sich um sie selbst, das andere ist eine Doppelgängerin. Was also macht den Menschen einzigartig? Und ist das Wesentliche überhaupt „sichtbar“? Daran schließt die Figur eines „Selbstporträts als Geist“ an: In Bronze von ihrem Körper abgenommen, steht ein Laken mit seinen Faltenwürfen vom Scheitel bis zur Sohle darunter im Raum. Kwade hat diese Skulptur zwischen An- und Abwesenheit im Lehmbruck-Trakt des Museums im Dialog mit dem expressionistischen Bildhauer platziert – überhaupt geht sie an vielen Ecken und Enden auf das Skulpturenmuseum und seine Architektur ein. So stehen im Skulpturenhof zwei identische Autos seitenverkehrt zueinander mit den gleichen Schrammen und Hinterlassenschaften, und unterschiedliche Stühle sind hier in der Vertikalen gestapelt und umfangen mit ihren Beinen Kugeln und korrespondieren dabei durch das Schaufenster mit der Stele aus Rundscheiben von Adolf Luther.
Sukzessive Prozesse und Zeit sind konstante Aspekte, etwa als Uhren, deren Zeiger sich unterschiedlich drehen, oder als ein Mobile aus Felsgestein, welches darunter das Gehen und Atmen bewusst macht. Wenn ein Material im Werk von Kwade dominiert, so ist das der Stein. Aus den Fjorden Norwegens stammend demonstriert er Gewicht und urzeitliches Gedächtnis. Er bezieht uns in der Gegenwart des digital Veränderlichen, Ungesicherten und Virtuellen als stabile Größe erst recht ein. Das Lehmbruck Museum ist dafür der richtige Ort zur richtigen Zeit.
Alicja Kwade: In Agnosie | bis 25.2. | Lehmbruck Museum in Duisburg | 0203 283 32 94
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