Ein Zeitungsfoto in einer der Vitrinen lässt ahnen, wie anerkannt und bewundert der britische Bildhauer Henry Moore (1898-1986) zu Lebzeiten gewesen sein muss. Tituliert als „hoher Besuch“ wird er 1965 vom damaligen Oberbürgermeister von Duisburg im Museum empfangen. Ausgebreitet ist auch eine Seite der Zeit mit gleich zwei Nachrufen: einem vom Kunsthistoriker Gottfried Sello und einem vom Bundeskanzler Helmut Schmidt. Wenn es – aus eurozentrischer Perspektive – eine:n Haupt-Bildhauer:in des 20. Jahrhunderts gibt, dann gehört Henry Moore zur engsten Wahl. Natürlich ist er im Skulpturen-Museum in Duisburg mit Plastiken vertreten. Zudem hat Moore dem Museum ab 1965 von jeder seiner Radierungen, Holzschnitte und Lithographien ein Blatt geschenkt.
Diese Druckgraphiken bilden jetzt, zum 60-jährigen Bestehen des Museums, den Schwerpunkt der Ausstellung. Sie verdeutlichen die Werkentwicklung und zeigen, wie sehr sich Moore von landschaftlichen Beobachtungen hat leiten lassen und dass er sich doch immer an der Wirklichkeit orientiert hat, auch wenn er für seine abstrakten Skulpturen auf öffentlichen Plätzen – zeitgleich zu all der Euphorie – angefeindet wurde. Henry Moores Werken ist indes die Sanftheit und der Wunsch nach Harmonie eingeschrieben. Er wendet sich der archaisch gewachsenen Natur zu, den Steinen, Bäumen und der Tier- und Pflanzenwelt im rauen englischen Klima. Eine Werkgruppe widmet sich Stonehenge, womit Henry Moore, der auf seinen Graphiken all das realistisch, aber auch in Detailansichten vorträgt, auf die Mythen und die Entstehung der Welt anspielt. In der Skulptur hat Moore bereits ab Ende der 1920er Jahre seine geschwungenen Formen ausgehöhlt, ab Mitte der 1930er Jahre teilte er die plastischen Massen in zwei Teile und wurde damit ebenso zu Ausstellungen der Surrealisten wie zur abstrakten Kunst eingeladen. Ein weiteres Thema ist die Kommunikation zwischen Menschen, die ihn zu eindrucksvollen, organisch verschlungenen Werken geführt hat. Das Schützen, Umfangen erweist sich als wichtige Geste seines Werkes, Mutter und Kind werden zu einem Schlüsselmotiv. Eine Referenz bilden die pflanzlichen Keimlinge – und von da ist es nicht weit zu den berühmten „Shelter“-Zeichnungen, die Henry Moore ab 1940 in den Luftschutzräumen der Londoner U-Bahn gezeichnet hat: Die realistisch erfassten Menschen sind von eng umhüllenden Decken umfangen. Sie und die „Liegenden Figuren“ in der Skulptur leiten über zu seinem gegenständlich figürlichen Werk der Nachkriegszeit.
In der Duisburger Ausstellung lassen die Skulpturen im Dialog mit den Druckgraphiken erkennen, wie sehr Henry Moore um die Form gerungen hat, wie sehr es ihm um Konzentrierungen und Vereinfachungen gegangen ist und damit um das Wesentliche, was das Leben ausmacht. Die Kunsthistoriker betonen Moores große Bedeutung für die Entwicklung der Skulptur mit einem bahnbrechenden Werk, für das die Auseinandersetzung mit Volumen und Raum anhand der gewölbten Oberflächen, der Verknappungen und Durchbrüche bestimmend ist. Dass Moore dabei immer die Natur und den Menschen im Blick hatte, macht sein Werk und nun auch die Ausstellung auch heute noch sehenswert.
Henry Moore – For Duisburg | bis 19.1. | Lehmbruck Museum, Duisburg | 0203 283 32 94
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