Manche Ausstellung kommt völlig überraschend und ist doch überfällig. Die Skulpturen von Barbara Hepworth (1903-1975) sind eher von Buchabbildungen als von der Betrachtung der Originale bekannt, jedenfalls hierzulande. Nun also zeigt das Lehmbruck Museum eine konzentrierte, edel präsentierte Auswahl, und bei aller sinnlichen Erfahrbarkeit dieser Skulpturen empfiehlt sich der Blick auf die Werkbeschriftungen an der Wand. Wichtig war für die britische Bildhauerin das verwendete Material, zunächst Holz, Stein und Gips, womit sie ein weites Spektrum an Tönen und Oberflächenstrukturen erreicht.
Erst ab den 1950er Jahren und mit zunehmendem Erfolg wandte sie sich der Bronze zu, die geeignet für den Transport war. Die Werktitel ihrerseits weisen auf landschaftliche Erfahrungen hin, mit der Natur als Referenz. Und dann stammen in der Ausstellung in Duisburg etliche der Skulpturen nicht von Hepworth, sondern von weiteren Künstlern dieser Zeit. Nicht nur Rodin oder Giacometti sind aus der hauseigenen Sammlung vertreten, sondern auch Henry Moore, ihr Studienkollege aus Leeds, und Brancusi, Pevsner oder Arp: Allesamt Bildhauer, die verwandten künstlerischen Fragen Mitte des 20. Jahrhunderts und sogar etwas früher nachgingen.
Die Künstler und Künstlerinnen der Avantgarde der Moderne wandten sich der Abstraktion zu, die sie in organischen oder geometrischen Verläufen anlegten. Hepworth selbst öffnete, durchstach das dichte Volumen, so dass Durchblicke entstanden. Sie formte und schliff die Oberflächen auf Allansichtigkeit und Dynamisierung und erzeugte einen Ausgleich, der als harmonisch bezeichnet werden kann. Mitunter hat sie in die Öffnungen Fäden gespannt. Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund von Radio- und Mikrowellen vermitteln sie Spiritualität als Durchdringung verschiedener Sphären, von innen und außen, vorne und hinten.
Bereits um 1930 hatte sich Barbara Hepworth von der Figur gelöst und zunächst Torsi geschaffen, in denen sich organische Partien um- und ineinander legen. Auch später erstellt sie vereinzelt Gruppen, die vertikal aufwachsen und sich dadurch als Figuren kennzeichnen. Verheiratet mit dem Künstlerkollegen Ben Nicholson lebte sie ab 1939 in St Ives an der Küste Cornwalls. Sie belebte die dortige Künstlerkolonie, wohin sich zeitweilig Mark Rothko, Naum Gabo oder Piet Mondrian zurückzogen. Hepworth war vernetzt und als Künstlerin weltweit gefragt, sie hat sich zum Umgang mit der Natur und zum Umweltschutz Gedanken gemacht – und sie ist in vielem, auch mit ihrem Formvokabular, aktuell. Das unterstreichen im Lehmbruck Museum die Beiträge von sechs zeitgenössischen Künstler:innen. So hat Claudia Comte ein Feld mit Kakteenformen, die sie aus Holz gesägt hat, eingerichtet.
Die wunderbar skurril anmutenden Objekte mit Saiten von Nevin Aladasind wie Musikinstrumente bespielbar. Und Nezaket Ekici ist mit der Aufzeichnung einer Performance vertreten, in der sie in körperlicher Erfahrung Eis in Wasser transformiert, implizit auf den Klimawandel aufmerksam macht und den Beitrag des Einzelnen anmahnt. Mit ihren Mitteln, zu ihrer Zeit war Barbara Hepworth genauso auf der Höhe der Zeit.
Die Befreiung der Form. Barbara Hepworth – Meisterin der Abstraktion im Spiegel der Moderne | bis 20.8. | Lehmbruck Museum, Duisburg | 0203 283 32 94
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