Der Künstler ist über jeden Zweifel erhaben. Geboren 1922 in Düsseldorf, dort auch 1984 gestorben, war Norbert Kricke ab 1964 Professor an der dortigen Kunstakademie und zeitweilig deren Rektor. Schon zu seiner Zeit gehörte er zu den innovativsten Bildhauer:innen. Dreimal wurde er zur documenta eingeladen, 1961 stellte er im Museum of Modern Art in New York und 1964 im Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig aus. Heute gilt er als Klassiker der Skulptur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der signifikante neue Fragen behandelt hat. Anlässlich seines 100. Geburtstags – und weil seine Heimatstadt diesen verschläft – stellen die drei Kunstmuseen in Duisburg Krickes Skulpturen und Zeichnungen vor, die das Werk in seinen opulenten und verknappten Phasen auffächern. Denn Kricke, der ausgebildete Pilot, der Brieftauben züchtete, vermochte den leeren Raum zu erfüllen und dann wieder in einer einzigen Linie zu umfangen. Schwerkraft und dessen Überwindung, Bewegung und Zeit und ein Gespür für die minimale Richtungsänderung, und zwar ungegenständlich mit dem neuen Material Edelstahl: das alles hat Kricke im winzigen Format aber auch – andernorts – in öffentlichen Großplastiken erkundet.
Vielleicht sollte man den Rundgang im Museum DKM beginnen, das permanent zwei Räume für Kricke eingerichtet und diese nun erweitert hat. Hier findet sich der Hinweis auf sein Studium in Berlin, in der Bildhauerklasse von Richard Scheibe. Mit Sichtkontakt sind dort eine frühe männliche Figur und eine Zeichnung ausgestellt, die sich aufeinander beziehen und demonstrieren, wie Kricke Körper akademisch erfasst und durchdringt, eben ein „echter“ Bildhauer ist. Im Sammlermuseum erschließt sich aber auch Krickes spätere Fokussierung auf die Linie, ja, ihre Bedeutung für die Skulptur und Zeichnung wird sorgfältig herausgearbeitet. Dass sie zugleich die Grundlage der Figur wie auch der Raumerfassung ist, verdeutlicht dann die Studioausstellung im Lehmbruck Museum. Hier ist nicht nur der horizontale „Kriechende“ (1948/49) ausgestellt, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft sind vergleichende Skulpturen von Künstlern wie Uhlmann, Pevsner, Gabo aber auch Giacometti zu sehen.
Kricke ist ebenfalls ein Bildhauer der Konzentration, der seinerseits mit seinen Skulpturen aus einzelnen Stäben, die rechtwinklig oder frei abknicken, Raum erfühlt oder ohne konzeptuelle Allüren einfasst. Und der, in seiner mittleren, berühmtesten Phase, aus dem umfangenen Raum wieder ausbricht: Das ist das Thema in der Küppersmühle, die Norbert Kricke prächtig feiert. Er verdichtet Folgen von Metallstäben zu Knoten und er schichtet die Stäbe zu Flächen, so dass sie sich wie die Flügel von Flugzeugen zueinander verhalten, Raum abdecken und öffnen. Wie intensiv und experimentierfreudig, expressiv das Informel überwindend und konzentriert Kricke dabei war, erschließt sich hier noch durch die geniale Ausstellungspräsentation. Und bei all dem, in allen drei Häusern: Kricke war ebenso ein facettenreicher, origineller Zeichner. Speziell und großartig!
Norbert Kricke | bis 31.3., MKM Museum Küppersmühle | bis 7.5., Lehmbruck Museum | bis 7.5., Museum DKM
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