Sie sind der Mythos vergangener Zeiten, die großen Primadonnen, die Königinnen der Koloratur, die Stimmwunder der Oper. Maria Callas ist nicht nur dem Musikkenner ein Begriff. Doch kennt man auch die Primaballerinas, die auf Spitze tanzen, als würden sie schweben? Oder gar die Primaballerinos, die so schnell Pirouetten drehen, dass die Konturen ihres Körpers zerfließen? Selbst Ballettliebhaber kennen kaum noch eine Marie Taglioni oder Margot Fonteyn. Aktuell sollte man sich ohnehin mehr an den noch tanzenden Primaballerinas begeistern, etwa an Marlúcia do Amaral, deren virtuose Technik gerade beim Düsseldorfer Ballett am Rhein in b.13 zu bewundern ist. Prima, Erste, ist auch Barbora Kohoutková, die beim Aalto Ballett Theater in Essen im „Sommernachtstraum“ eine grandios wandelbare Titania tanzt. Beim männlichen Part, dem Primaballerino, sieht es erstaunlicherweise besser aus. Ein Nijinsky oder Rudolf Nurejew ist fast allen Tanzinteressierten geläufig, manchen sogar ein Rasta Thomas. Gerade mal ein Wortspiel war es dem Focus-Magazin 2002 bei der Fußball-WM wert, als es den Titel des Primaballerino keck für den Stürmerstar Raúl okkupierte. Nun, manchmal tanzen Fußballer auch mehr um den Ball, als ihn zu spielen.
Heute spricht man eher von virtuosen Tänzerinnen und Tänzern. Ihre Titel sind demokratisiert und lauten jetzt Erste Solistin, Erster Tänzer, was französisch als Premier danseur étoilesicher besser klingt. Doch auch mit diesen schlichten Titeln stehen sie den Größen des Balletts aus dem 19. Jahrhundert in nichts nach. Eine der bekanntesten ist sicher Sylvie Guillem, die nach ihrer ersten Karriere beim Ballet de l’Opéra de Paris eine zweite als freischaffende Tänzerin und Choreografin startete und so den Ruhm der Spitze in die freie Szene mitnahm. Legendär sind vor allem die vom schwedischen Choreografen Mats Ek für sie und Russell Maliphant bzw. Niklas Ek choreografierten Soli und Duette.
Eine ähnliche Ausnahmetänzerin ist auch Louise Lecavalier, die als Ikone des (kanadischen) zeitgenössischen Tanzes bezeichnet wird. Von Anfang der 80er Jahre an war sie für zwei Jahrzehnte Édouard Locks Muse. Seine Choreografien für sie und ihr hochenergetischer Tanz machten den Erfolg der kanadischen Kulttruppe La La La Human Steps aus. Dann nahm auch sie den Ruhm mit in eine eigene Karriere. Mit einer Weltpremiere kommt sie im Dezember ins Tanzhaus NRW in Düsseldorf. Zum markigen Elektro-Beat von Mercan Dede reklamiert sie in „So Blue“, gemeinsam choreografiert mit Benoît Lachambre, die vollständige Bewegungsfreiheit des tanzenden Körpers auf einer nackten Bühne von High Speed bis zum Stillstand. Ihr solistischer Part wird später erweitert zum Duett mit dem Tänzer Frédéric Tavernini. Ein „prima“ Highlight des Tanzes.
Vorstellungen Tanzhaus NRW: 7./8.12.
www.tanzhaus-nrw.de | www.ballettamrhein.de | www.aalto-ballett-theater.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
„Unser mögliches Zusammenleben mit Robotern“
Kurator Cis Bierinckx über das tanzhaus NRW-Themenfestival „Hi Robot!“ – Sammlung 02/19
Bewegungsrecherche
Die Essener Choreografin Marie-Lena Kaiser – Tanz an der Ruhr 12/18
Sprungbrett
„Was rauskommt, ist unklar“ – ein Rechercheformat bei tanz nrw – Tanz in NRW 04/17
Revolutionäres Pre-Enactment
Geschenke von der Bundeskulturstiftung – Theater in NRW 01/17
Der Blick hinter den Spiegel
Die 5. Biennale der Tanzausbildung findet in NRW statt – Tanz in NRW 02/16
Die Freude am „Besseren Scheitern“
Tanzhaus NRW knüpft interessante Dialoge zwischen Profis und Amateuren – Tanz in NRW 08/15
Der gesplatterte Pinguin
Westwind-Festival 2015 in Düsseldorf – Prolog 05/15
Fremdkörper im Auge
Uraufführung von „Corps Étrangers“ im Tanzhaus NRW in Düsseldorf – Tanz in NRW 12/13
Geopfert wird immer noch
Tanzhaus NRW mit dem Jubiläum von „Le Sacre du Printemps“ – Tanz 08/13
Der Kongress tanzt
Kritische Selbstreflektion beim Tanzkongress 2013 – Tanz in NRW 06/13
Intendanz-Wechsel im Tanzhaus NRW
Bettina Masuch löst 2014 Bertram Müller ab – Tanz in NRW 09/12
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23
Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23