Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
24 25 26 27 28 1 2
3 4 5 6 7 8 9

12.591 Beiträge zu
3.817 Filmen im Forum

Preisträger Fabian Wolbring/Hintergrundillustration: Benjamin Bäder
Foto: Ulrich Schröder

Raketenstart

26. Mai 2017

Richtungsding-Wettlesen in Essen – Lesezeichen 06/17

Was im Umfeld der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 als „Unprojekt“ begann, ist inzwischen Teil regionaler Literaturlandschaft geworden: Mit der elften Ausgabe ihrer „Zeitschrift für Gegenwartsliteratur“ macht sich die Essener Initiative Richtungsding mit ihrem diesjährigen Wettbewerbs- und Publikationsprojekt zu neuen Horizonten auf. Gefragt war Lyrik oder Prosa zum Motto „Rakete“, das zum Ende der Einsendefrist vor der Jahreswende weniger an Zeiten des Kalten Krieges gemahnte als gegenwärtig im Zeichen der Korea-Krise. Somit bewegten sich die über 120 Einsendungen, von denen 14 mit künstlerisch anspruchsvollen Illustrationen von Benjamin Bäder in die erschienene elfte Richtungsding-Anthologie aufgenommen wurden, auch überwiegend jenseits politischer Kategorien. Herausgeber Jan-Paul Laarmann geht es zudem darum, eine Literatur zu präsentieren, „die nahbar ist und nicht – wie bei 'ner lit.COLOGNE – von irgend 'nem Bestsellerautor kommt“.

Einer der wenigen Texte, die eine auf das gesellschaftliche Zeitgeschehen bezogene Lesart ermöglichen, ist der mit 300 Euro honorierte Gewinnertext des Wettlesens vom 29. April in der Zeche Carl, wo sechs von der Jury ausgewählte Beiträge zum Zuge kamen. So lässt sich die kafkaeske Kurzerzählung „An K. / Anker“ des promovierten Literaturwissenschaftlers Fabian Wolbring, der bereits 2011 einen Richtungsding-Wettbewerb gewann, als Gleichnis für eine krisenhafte Zivilisation im Stadium ihrer allmählichen Auflösung interpretieren: Der Protagonist W. befindet sich an Bord einer außer Kontrolle geratenen Rakete, deren Heck bereits in Brand steht und die er dennoch nach Prag steuern will, um einen – noch ungeschriebenen – Brief, der entscheidend zur Rettung der Menschheit beitragen könnte, an den (vielleicht bereits verstorbenen) Adressaten K. zu übergeben. Schließlich gerät die refrainartig von einem webcamartigen rhythmisierten Klacken begleitete Entwicklung des Plots zur tragikomischen Farce: Die aus einem unüberschaubaren Wust an Notizzetteln bestehende Rakete ist im Begriff, gänzlich in Flammen aufzugehen – im Informations-Super-GAU erstickend, rast die Welt auf die Apokalypse zu.

Ulrich Schröder

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

The Monkey

Lesen Sie dazu auch:

Internationales ABC
„A wie Biene“ von Ellen Heck – Vorlesung 02/25

Mord aus der Vergangenheit
Eva Völler liest in der Mayerschen Essen

Zwei Freunde
„Am Ende der Welt“ von Anna Desnitskaya – Vorlesung 02/25

„Afrika ist mehr als Hunger und Krieg“
Autor und Influencer Stève Hiobi über sein Buch „All about Africa“ – Interview 02/25

Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25

Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25

Unsichtbare Krankheiten
„Gibt es Pflaster für die Seele?“ von Dagmar Geisler – Vorlesung 01/25

Gespräch über die Liebe
„In einem Zug“ von Daniel Glattauer – Textwelten 01/25

Mit KI aus der Zwangslage
„Täuschend echt“ von Charles Lewinsky – Literatur 01/25

Vorlesestunde mit Onkel Max
Max Goldt in den Kammerspielen Bochum – Literatur 01/25

Doppelte Enthüllung
„Sputnik“ von Nikita Afanasjew – Literatur 12/24

Eine wahre Liebesgeschichte
Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24

Literatur.

HINWEIS