Wie golden waren die Zeiten, als große Städte noch eigene Operettentheater besaßen. Es gibt eine unglaubliche Zahl witziger Operetten mit wunderbarer Musik, die alle kein Zuhause mehr besitzen – das Musical hat ihnen den Hals zugedreht, Paläste wurden für Rollschuhfahrer, Katzen und Phantome gebaut. Der Unterhaltungsstar Harald Schmidt hat mal zum Genre Musical geäußert: Es ist ein unheimlicher Aufwand um ein inhaltliches Nichts! Das bewertet den Plot der meisten Musicals gerecht. Die wirklich berühmten Operetten können sich da meist anstellen, ganz bestimmt die Operette „Die lustige Witwe“ – ein verrückter Stoff mit grob geschnittenen Figuren, eine Anhäufung von Verwechslung und Intrige, aber auch herrlichen Klängen von Franz Lehár. Jetzt hat die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg dieses Prachtstück angefasst und eben diesen bärbeißigen Genre-Geißler Harald Schmidt beauftragt, dem Regisseur Christian Brey bei der Inszenierung mit Rat, Tat und Ideen beizustehen.
Dass die Intendanz aller Opernhäuser zum Volkeswohl Operetten und sogar Musicals auftischt, ist handelsüblich. Dass nämlich die Operettenfreunde aktiver und zahlreicher sind als angenommen, das beweisen Kultstätten wie Sommerfestivals, die jährlich hunderttausende Pilger auf Seebühnen und in alte Steinbrüche locken – Klientel vor der eigenen Haustüre städtischer Opern, das über die Jahre vom Regietheater aus den Kulturhäusern vertrieben und in die Pampa gescheucht wurde – denn da spielt noch die schöne Musik. In Düsseldorf haben die Macher ihren Operetten-Auftrag ernst genommen. TV-Mann Schmidt und sein Technik-Team haben eine ansehnliche Samstagabend-Unterhaltungsshow entworfen, mit unwirklich-kitschigem Fernsehballett, riesigen, sonst vom Zauberer für die Kleinen in Sekunden gedrehten Tieren aus Luftballons und aus dem Himmel hängenden Glaskugeln – Träume, die schnell platzen können. Falsche Farben und zahllose Spiegelelemente spielten nachdrücklich in einer Fantasielandschaft, in der die Witwe selbst in einem Korb an Herzballons aus den Wolken fährt. Und auf der Bühne brannten Showmaster und Komödianten ihr Feuerwerk der guten Laune ab. Nur der augenscheinliche Altersunterschied zwischen dem verliebten Grafen und der begehrten Witwe, einem Star der Operette, riss harsche Themen wie den beliebten Ödipuskomplex an – die Tiefenpsychologie wurde an diesem Abend der Außenpolitur geopfert. Heraus kam ein angenehm unterhaltsamer Abend mit wirklich guten Stimmen – gerade die beliebten angemieteten osteuropäischen Produktionen für die Stadthalle oder den Burggraben treiben meist kostengünstige ganz junge oder gut abgehangene Stimmbänder über die Bretter, nur getoppt von den dazu engagierten Telefon-Orchestern – und einem gesegneten Opernorchester, deren GMD die Operette zur Chefsache erklärt hatte. Schmidt und Brey distanzieren sich in den Bildern davon, diesen Urstoff wirklich ernst zu nehmen. Aber sie machen sich niemals boshaft lustig über das Genre. So badet die Operette in der Oper am Rhein in Glanz und Luxus für Auge und Ohr – und treibt den Kritikern den Schaum vor den Mund.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Sinfonische Vollender
Gil Shaham in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 11/24
Aus Alt mach Alt
Tage Alter Musik in Herne 2024 – Klassik an der Ruhr 11/24
Weiblicher Beethoven
Emilie Mayers 5. Sinfonie im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 10/24
Ein Himmel voller Orgeln
Zwei Orgelfestivals in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 10/24
Mit virtuoser Blockflötistin
33. Festival Alte Musik Knechtsteden in Dormagen und Köln – Klassik an der Ruhr 09/24
Nach François-Xavier Roth
Der Abgang des Kölner GMDs sorgt für Umbesetzungen – Klassik am Rhein 09/24
Barock und Filmmusik
Open-Air-Konzerte „Viva Italia!“ im Ruhrgebiet – Klassik an der Ruhr 08/24
Exotische Musik
„Sounds of Nature“ und „Diálogos de amor“ beim Niederrhein Musikfestival 2024 – Klassik am Rhein 08/24
Akademische Bürgernähe
Michael Ostrzyga dirigiert „Elias“ in Bergheim und Köln – Klassik am Rhein 07/24
Pop-Hit trifft düstere Rarität
Semesterkonzert an der RUB – Klassik an der Ruhr 07/24
Bruckners „verfluchte“ Neunte
„Von Herzen – Letzte Werke“ in Bochum – Klassik an der Ruhr 06/24
Mit Hochdruck bei der Arbeit
Die Orgelfeierstunden im Kölner Dom – Klassik am Rhein 06/24
Träume aus alten Zeiten
Zamus: Early Music Festival 2024 in Köln – Klassik am Rhein 05/24
Ungewünscht brandaktuell
Auftakt zum Klangvokal Festival Dortmund 2024 – Klassik an der Ruhr 05/24
Wiederentdeckt
Werke von Amerikas erster schwarzer Klassikerin in Essen – Klassik an der Ruhr 04/24
Orchester der Stardirigenten
London Symphony Orchestra in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 04/24
Blickwechsel in der Musikgeschichte
Drei Spezialisten der Alten Musik in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 03/24
Spiel mit den Elementen
Alexej Gerassimez & Friends im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 03/24
Temperamentvoller Sonntag
Bosy Matinée mit Asya Fateyeva und Gemma New in Bochum – Klassik an der Ruhr 02/24
Hellwaches Monheim
Das Rheinstädtchen punktet mit aktueller Kultur – Klassik am Rhein 02/24
Abenteuerliche Installation
„Die Soldaten“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 01/24
Keine Grenzen
Philharmonix in Dortmund und Düsseldorf – Klassik an der Ruhr 01/24
„Herrliche Resonantz“
Avi Avital in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 12/23
Mit Micky Maus am Dirigierpult
Elim Chan und das Antwerp Symphony Orchestra in Dortmund – Klassik an der Ruhr 12/23
Musik aus drei Jahrhunderten
Quatuor Modigliani in der Philharmonie Köln – Klassik am Rhein 11/23