13. Oktober, Bochum – Shahin Najafi ist im Iran ein bekannter Mann, auch wenn er schon seit über zehn Jahren in Deutschland lebt. Die einen lieben ihn für seine Musik und die oft provakanten Texte, in denen er auch das theokratische Regime aufs Korn nimmt; für die anderen ist er ein Staatsfeind. Vor einigen Jahren brachte er den satirischen, religionskritischen Rap „Naghi“ heraus, der letztlich dazu führte, dass radikale Geistliche eine Todes-Fatwa mit hohem Kopfgeld gegen ihn erließen. Seitdem lebt Najafi auch im Ausland – ähnlich wie Salman Rushdie – unter der massiven Bedrohung, als Künstler für seine politischen Äußerungen hingerichtet zu werden.
„Wenn Gott schläft“ heißt nicht nur sein eigenes Buch, sondern auch der aktuelle Dokumentarfilm über ihn, den Regisseur Till Schauder im endstation.Kino vorstellte. Absolut spannend war es für die ZuschauerInnen, Najafi persönlich auf der Bühne im Gespräch zu erleben, wo er auch andere Facetten zeigte als in dem gut erzählten Film. Kennengelernt hatten die beiden sich bei einem früheren Projekt des Regisseurs, zu dem Najafi ein paar Songs beigetragen hatte. „Wie toxisch Shahin ist, wurde mir erst klar, als andere Beteiligte mit ihm nicht im Filmabspann genannt werden wollten“, erläutert Schauder. Denn allein mit ihm assoziiert zu werden oder sogar zusammen auf der Bühne zu stehen, kann schnell ernste Bedrohungen durch systemtreue Fanatiker nach sich ziehen. Damit war das Interesse des Dokumentarfilmers geweckt, mehr über diesen Mann, seine Musik und die Reaktionen darauf zu erfahren.
Schauder strukturiert seinen Film auch optisch wie einen Thriller und bestätigt im Gespräch, dass er genau dieses Genre für angemessen hielte, um die Paranoia auszudrücken, die er wahrgenommen habe während des Drehs rund um die Veröffentlichung eines weiteren brisanten Albums und der anschließenden Tournee. So entsteht in schnellen Schnitten und vielen verschachtelten Szenen eine Atemlosigkeit, die noch verstärkt wird durch die Verknüpfung mit tagespolitischen Ereignissen aus Nachrichten-Sendungen der letzten Jahre, die selbst hysterische Züge annehmen; zu sehen sind darin zunehmender Rassismus rund um hohe Flüchtlingszahlen im Gleichschritt mit terroristischen Anschlägen und einer Radikalisierung der politischen Sprache.
Shahin Najafi wundert sich selbst über diese Veränderungen in seiner neuen Heimat Deutschland. Hier, wo er vor Jahren Zuflucht gefunden hatte, fühlt er sich jetzt als Ausländer ins Visier genommen. Er spürt die Islamfeindlichkeit am eigenen Leib, obwohl er sich von der Religion abgewandt hat. Gleichsam stilisieren ihn systemkritische IranerInnen zu einem Helden. Im Film kommt nicht rüber, wie heftig er sich gegen all diese Rollenzuschreibungen wehrt, und er stellt zum Erstaunen der ZuschauerInnen deutlich klar: „Ich will kein Held für euch sein. Ich bin kein Revolutionär, ich bin ein Evolutionär.“ Er will sich selbst in erster Linie als Künstler verstanden wissen, zumal nur einige seiner Texte dezidiert politisch seien, andere poetische Songs etwa wären für ihn wie ein Schutz und ein künstlerischer Rückzugsort, um die Realität zu vergessen. So inszeniert er sich in Bochum in vollkommen verändertem Outfit als etwas zynischer Nihilist, der sich um keinen Preis von irgendeiner Gruppe vereinnahmen lassen möchte.
Die iranische Community, die ihn als Symbol des Widerstands sieht, reagiert im Kinosaal mit Erstaunen. Ein Zuschauer schließt die spannende Diskussion mit der Bemerkung, dass er die thematische Zuspitzung im Film auf Religion und Politik im Kontext zum Iran für problematisch findet. Und man sollte sich tatsächlich – auch jenseits der berechtigten Sorge um künstlerische Meinungsfreiheit – immer fragen, inwieweit man die migrantischen KünstlerInnen durch diese Art der Auseinandersetzung in eine Ecke drängt, in der sie sich selbst nicht wohl fühlen. Jedenfalls stellt Shahin Najafi fest, dass er vor der Todes-Fatwa von keinem einzigen deutschen Medium zum Interview angefragt wurde. Erst als Zielscheibe von radikalen Mullahs ist er offensichtlich auch interessant genug als Thema für die deutschen Medien.
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