Jede Zeit kürt ihr Instrument. Der Himmel hing nicht von Anbeginn an voller Geigen – auch diese Sinnbilder klingender Klassik mussten sich ihren Weg in die gute Stube der Gesellschaft erst bahnen. Ursprünglich waren es die menschlichen Stimmen, die Worten durch Gesang besondere Bedeutung verliehen – zur Ehre von Gottheiten, zur Verbreitung von Botschaften und später zur unterhaltsamen Darstellung gewichtiger bzw. „unaussprechlicher“ Gefühle. „Singen ist das Fundament zur Musik in allen Dingen“, so formulierte es Vielschreiber Georg Philipp Telemann, der mit dieser unverbrauchten Weisheit zum erfolgreichsten Komponisten seiner Zeit wurde. Und selbst instrumentale Musik gewinnt erst als „Klangrede“ Lebendigkeit und Ausdruckstärke, das lernen aktuelle Interpreten in der Auseinandersetzung mit alten und neuen Werken jeden Tag.
Momentan erfährt die Gesellschaft auch abseits anstrengender Bergtouren durch die Hochkultur eine Rückwendung zum ursprünglichsten Singsang: Mitsingen wird wieder modern. Niemand scheut sich mehr, seine eigene Stimme zu erheben, zahlreich sind die in den Medien präsentierten Beispiele von nett singenden Laienstimmen, die eine – allerdings nur oberflächlich populistische – Weltkarriere als Gesangsstars hinlegen. Jetzt lockt die traditionelle Kölner Musiknacht, in der die freie Szene Breitenwirkung anstrebt, in die „Stadt der Stimmen“.
Diese Nacht der Nächte erfüllt die Häuser mit Musik, 100 Konzerte an 25 verschiedenen Orten überfluten die Vorstellungskraft des harmlosen Konzertbesuchers. Deshalb bietet KölnTourismus wieder geführte Touren an, diesmal durch die Welt des Gesangs. Zwischen ungarischer, lateinamerikanischer und israelischer Folklore gastieren zahlreiche Chöre mit geistlicher Musik, die Neue Musik schafft zahlreiche unvertraute Konzertsituationen durch ungewohnte Konstellationen, das Experiment durchschreitet als Uraufführung im Moment des Entstehens bereits die Pforte ins Museum.
Das Überangebot dieses Abends ist Programm, denn abwechslungsreicher und spannender lässt sich ein Konzert nicht planen. Oft ist aber auch mit der einmaligen Wahl eines Spielortes die bunte Mischung gewählt, denn von der Alten Musik des Mittelalters bis zum experimentel-elektronischen Jazz sind verschiedene Locations denkbar geeignet – und alle Musikrichtungen existieren ja äußerst lebendig und auf extrem hohen Niveau in der Rheinmetropole. Hatten die Konzertplaner bisher immer Schwerpunkte auf ein bestimmtes Genre gelegt, so erhebt sich der Gesang mühelos über alle Sparten. Das Programm lässt sich nur im ausführlichen Folder studieren oder im Internet, um sich seinen Ort oder seine Route herauszusuchen. Die frei arbeitenden Musiker der Domstadt bürgen für ein qualitativ exklusives Niveau und für gute Ideen. Ohne diese – wie z.B. eine Musiknacht – wären die weiterhin enorm geforderten Kräfte zum Überleben neben der Subventionskultur längst ermattet.
Kölner Musiknacht 2011 I 10.9. I An diversen Orten in Köln I 0221 28 01 I www.koelner-musiknacht.de
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