Wer dominiert hier wen: der Mensch den Raum oder der Raum den Menschen? Die in der Neuen Galerie ausgestellten klein- und mittelformatigen Malereien von Tim Eitel zeigen überwiegend karge Raumkonstruktionen, riesig, hoch und gänzlich leer, bis auf einzelne Menschen oder ein Paar. Die Figuren durchlaufen sie, stehen oder sitzen einmal auf einer Bank. Die Wände sind leer, und während der oft reflektierende Boden in seiner Weite zu sehen ist, wird die Decke vom Bildrand abgeschnitten. Die Menschen wirken hier verlassen, aber sie sind auch bei sich, treten wie selbstverständlich und selbstbewusst auf. Insgesamt dominiert eine Atmosphäre des Cleanen und der Stille. Zeit ist abwesend, und Erzählungen stellen sich bei den sparsamen Informationen ohnehin nicht ein...
Die Ausstellung von Tim Eitel sollte schon im April vergangenen Jahres eröffnet werden, wurde dann gleich ein ganzes Jahr verschoben und steht nun doch mit geschlossenen Türen, aber nicht mit leeren Händen da. Die Eröffnung fand als Livestream statt mit dem Vortrag von Christoph Tannert, der einige kluge Hinweise u.a. auf die Sorgfalt dieser Malerei und ihre psychologische Intensität und die Rolle der Wahrnehmung enthält. Und dann sieht man – auf dem heimischen Monitor oder vielleicht doch vor Ort in der Ausstellung – diese Bilder von Tim Eitel, die aus den Jahren 2000-2019 stammen, in ihrer extremen Sachlichkeit, der Präzision des Realismus und ihrer hohen Verdichtung, gerade auch im Nüchternen der Figurendarstellung.
Tim Eitel, der 1971 in Leonberg bei Stuttgart geboren wurde, aber an den Kunsthochschulen in Halle/Saale und vor allem Leipzig bei Arno Rink studiert hat und mitunter zur „Leipziger Schule“ in der Malerei gezählt wird, zeigt Menschen von heute. Irritierend sind diese Wände oder Mauern, die in ihrer überwältigenden Dominanz etwas Labyrinthisches besitzen und, wie Ableitungen aus der konstruktiven Kunst, ein Eigenleben entfalten. In Eitels Gemälden wechseln schwarze und grauen Flächen einander ab, aber die Wände brechen in der Tiefe abrupt auf, so dass Schneisen von Licht aus den dahinter liegenden Raumsegmenten fluten. Alles Fotorealistische ist hier reine Malerei, und deshalb demonstriert gerade diese Ausstellung, dass auf das unmittelbare Erlebnis der Kunst nicht verzichtet werden kann, auf das Annähern, sinnliche Erfahren im Ausstellungsraum, noch mit der eigenen Bewegung. Tatsächlich bestehen die Bilder von Tim Eitel bei nahem aus Oberflächen, wie sie eben nur die Malerei mit ihren Farben und ihrem Auftrag hinbekommt. In den Gemälden von Tim Eitel liegt eine farbgesättigte Tiefe vor, in der man sich sozusagen versenkt.
Natürlich ist diese Ausstellung, bei diesem vorzüglichen Künstler und an diesem grandiosen Ort, auf den Zentimeter inszeniert. Sie kulminiert im Gemälde „Open Circle“ (2017), das mit dem goldgelben Kreissegment der Sonne vielleicht wie eine symbolhafte Umkehrung der anderen Gemälde wirkt, und liefert mit den Aquarellen im Lesesaal noch einen Erklärungsansatz. Die Bilder von Tim Eitel sind kleine Wunder, reich an austarierter Emotion und Reflexion dieser Emotion. Sie handeln vom Menschen und seinem sich Zurechtfinden in unserer modernen und postmodernen Zivilisation, in Regularien, die unser äußeres Leben determinieren, und von den Freiheiten, die uns das Denken ermöglicht: Sie handeln von Romantik in dieser Zeit.
Tim Eitel – Innenleben | bis 5.6. | Neue Galerie Gladbeck | nach aktuellem Stand nach Voranmeldung: Mi-So 15-20 Uhr | 02043 319 83 71 | www.galeriegladbeck.de
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