Thomas Scheibitz gehört zu den international angesagten Malern unserer Zeit. Und obwohl er mit diesem (vermeintlich) konventionellen Medium arbeitet, wurde er 2005 als Beitrag für den Deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig eingeladen. In diesen Tagen geht seine dialogische Präsentation mit dem Werk von Pablo Picasso im Berliner Museum Berggruen zu Ende. Begonnen hat dagegen seine Einzelausstellung in der Neuen Galerie Gladbeck: Sie erhellt, worin der Reiz seiner Kunst liegt und wie sehr er die Grenzen und die Tauglichkeit der Malerei für die heutige Zeit erkundet.
Dabei kommen seine Werke in der Neuen Galerie mit einiger Widerborstigkeit daher. Die für ihn typischen leuchtenden Bahnen und Flächen in Neonfarben verbünden sich gerade nicht mit der Betonwand. Die Bilder behaupten in der kapellenartigen Halle etwas Unbehaustes, aber auch Kostbares, indem sie einzeln gehängt sind und nicht unbedingt miteinander korrespondieren. Sie wechseln zwischen einer collagenhaften Fülle und einer motivischen Reduziertheit, die an Raumschichtungen und perspektivische Verkürzungen denken lässt. In der Halle selbst stehen drei Skulpturen in lockerem Zueinander. Eine ragt als Säule in die Höhe, eine andere verbleibt knapp über dem Boden, so dass hier verschiedene Modi der Raumerfahrung beschrieben sind. Jedenfalls, die Skulpturen nehmen Aspekte der Malerei auf, zeigen diese isoliert als Volumen im Realraum.
Scheibitz' Gemälde sind gekennzeichnet durch ein Zueinander von konstruktiven Feldern und Achsen, zwischen denen man in die Tiefe blickt. Rahmung und Innenfeld sind immer ein Thema. Bei aller Verschiedenheit folgen die Malereien einer formalen Grammatik, die mitunter an schablonenhafte Buchstaben erinnert, aber offen für Experimente ist und Bezüge zur Skulptur, zum Film und zur Theaterbühne eingeht. Er zitiert und lässt narrative Anklänge zu. So bezieht sich in Gladbeck ein Gemälde auf den Gasthof Ravoux in Auvers, wo Van Gogh die letzten Wochen seines Lebens verbracht hat. Es ist evident, dass Thomas Scheibitz in seiner Malerei nicht zwischen gegenständlich und ungegenständlich unterscheidet, ja, die Spannung zwischen diesen beiden Kategorien hält: Es geht um ein Sehen, Vergegenwärtigen und Analysieren der Strukturen, aus denen die heutige Welt gemacht ist. Dazu sind die faserigen Neonbahnen, die Scheibitz mit dem Printmarker zieht, nicht nur signalhaft und verführerisch, sondern sie verweisen auf die lichtdurchflutete Transparenz und Virtualität des digitalen Zeitalters.
Im Leseraum setzt sich das fort mit dem Bodenensemble „AIDA“, das über den architektonischen, topographischen Masterplan hinaus wie ein in die dritte Dimension gekipptes Gemälde wirkt, unterschiedliche Modellbauten zusammenführt und auch zwei filmische Projektionen enthält. Und dann läuft man noch einmal in die Halle, schaut dort von der anderen Seite auf die Skulpturen, stellt fest, wie sie sich aus der neuen Perspektive zu einer Gruppe zusammenziehen und dass es Scheibitz gerade um die Umrundung und die Allansichtigkeit, auch den Blick von der Rückseite geht: wie sehr er selbst diesen bei seinen Bildern mitdenkt.
Thomas Scheibitz: Die Blendung des Richters | bis 27.3. | Neue Galerie Gladbeck | 02043 319 83 71
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