Mit das Schönste an den Werken von Stefan Müller und Viola Relle ist: Sie bleiben unberechenbar, unbegreiflich und interagieren doch miteinander. In der Neuen Galerie Gladbeck sehen ihre Werke aus jeder Perspektive anders aus, sie beharren auf ihrer Abstraktheit und erinnern an Gegenständliches, Figur, Natur oder Landschaft, architektonische Konstruktionen und Zitate aus der Kunstgeschichte.
Es lohnt sich allein schon für die Malereien von Stefan Müller, diese Doppelausstellung in der Neuen Galerie Gladbeck zu besuchen. Müller (*1971 in Frankfurt am Main) tritt nur selten, aber dann eindrucksvoll und an prominenten Ausstellungsorten auf. In Gladbeck sind aktuelle Bilder zu sehen, auch einige ältere Werke, die allesamt die stoffliche Tiefe und Transparenz, das Schichten von Wahrnehmungsebenen, das Experimentelle im Umgang mit den Möglichkeiten der Malerei unddas Expressiv-Gestische imPinselstrich vereint. Die Bilder haben etwas Offenes, aber je länger man sich auf sie einlässt und etwa auch das luxuriöse Schimmern ihrer Oberfläche wahrnimmt, desto mehr wird deutlich, dass sie so und nicht anders aussehen können. Einzelne Bilder haben gegenständliche Motive, sei es die Rückenansicht eines gebeugten Mannes, der an einem Gatter eine Anhöhe aufsteigt, umfangen von einem Punktraster, oder drei langstielige Knospen, die aus einem Blumentopf aufwachsen und wie ungeschlacht in die Fläche gesetzt sind. Die Bildtitel geben Hinweise auf Referenzen und konkrete Ereignisse: „Das Frühstück im Grünen“ wirkt, als habe die Inszenierung von Manetmitsamt der Landschaft das Bild verlassen. Der Nachklang davon ist jedoch gegenwärtig. Die Bildgründe sind ein weiteres Erlebnis dieser Malerei, über der alles bewegt bleibt und „flirrt“, wie es – ebensogültig für Viola Relle – im Ausstellungstitel heißt.
Die Dialoge zwischen dem Maler und der Bildhauerin stellen sich beim Bewegen durch die Ausstellungshalle ein. Die Farbigkeit ist bei den Keramiken von Viola Relle ähnlichkomplex und differenziert. Relle handelt ebenso expressiv und ist doch Strich für Strich kontrolliert in ihrer Arbeit, bei der sie den Ton mit den Fingern durchpflügt und die gewundenen, gequetschten Teilformen ausarbeitet. Dabei stellensich deutliche Hinweise auf die menschliche Figur ein. Relle, die an der Kunstakademie in München bei Norbert Prangenberg studiert hat, gehört schon jetzt, mit 31 Jahren, zu den eigenständigen Bildhauern mit Keramik hierzulande. Vor allem aber sind ihre Werke Skulpturen zwischen Abstraktion und Surrealismus. Es macht Spaß, einzelne Verdichtungen zu entdecken, mitsamt dem Stocken und plötzlichen Einschlagen eines anderen Weges, um später doch wieder die ursprüngliche Fährte aufzunehmen, auch mit malerischen Mitteln. Und dann fällt auf, dass Stefan Müller, der als „Künstler für Künstler“ in einem Atemzug mit Sergej Jensen oder Christopher Wool genannt werden kann, ähnlich vorgeht. Ein Anliegen der Neuen Galerie Gladbeck ist es, die Aktualität des Mediums Malerei zu befragen. Das ist ihr über die Jahre immer wieder gelungen, und es gelingt überzeugend in der aktuellen Ausstellung.
Flirren ist menschlich – Viola Relle und Stefan Müller | bis 21.4. | Neue Galerie Gladbeck | 02043 319 83 71
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