Manchmal gelingen aus der Not geborene Dinge über alle Maßen. Als die Kölner Oper wegen dräuender Umbaupläne den angestammten Sitz am Offenbachplatz für Jahre zu räumen hatte, begann eine wilde Jagd nach neuen Spielorten. Die Kinderoper residiert bereits erfolgreich in der Südstadt in dem architektonisch reizvollen Alten Pfandhaus, für das Große Haus mussten natürlich größere Objekte einbezogen werden. Eines dieser zur Diskussion stehenden Gebäude, das ehemalige Casino im Gerling-Quartier, eignete sich mit einer Sitzkapazität von 650 Plätzen für ein besonderes Projekt: Monteverdi stand auf dem Spielplan.
Als Gerard Mortier Karajan in Salzburg beerbte, hingen an seiner Reformer-Peitsche nicht nur Neutöner für die Opernbühne, sondern auch Renaissance-Musik auf originalen Instrumenten. Will sagen: Eine Oper von Monteverdi mit den zarten Klängen eines Originalklang-Orchesters ist für den Freund opulenten Musiktheaters nicht unbedingt ein Zuckerschlecken. Allein die in Sopranhöhen johlenden Countertenöre schüren Berührungsängste, und die unendlichen Arien mit zahllosen auskomponierten Stoßseufzern und wildesten Verzierungen als Virtuositätsbeweis der einstmals umjubelten Kastraten neigen leicht zu abstoßender Künstlichkeit und definieren zudem ein unvertrautes Zeitmaß. Von all dem war jetzt im alten Speisesaal der Versicherungsvertreter und Sachbearbeiter nichts zu spüren.
Der neue Spielort erfuhr ein so breit gestreutes Publikumsinteresse, dass alle Vorstellungen bereits vor der Premiere ausverkauft waren. Das kam einem Wunder gleich, denn Köln bleibt trotz eines jetzt neu gegründeten „Zentrum für Alte Musik“ eher vom Hörensagen die „Stadt der Alten Musik“. Ergo muss es der Reiz des Ortes gewesen sein, der Blick in die feudalen Räumlichkeiten einer klassizistisch-monumentalen Stadt in der Stadt, der die Zuschauer lockte. Der Konzern hatte sich diesen Firmensitz ab den Dreißiger Jahren Stück für Stück aufgebaut. Und die Räume sind tatsächlich spektakulär. Regisseur Dietrich W. Hilsdorf bezog die architektonischen Besonderheiten multimedial umgesetzt in seine Inszenierung mit ein. „Die Krönung der Poppea“, ein Ränkespiel um Kaiser Nero und seine Mätresse, baut als Intrigenspiel eine ganze Welt aus Lüge und Falschheit auf, das passte thematisch glänzend zum Versicherungsgeschäft. Der runde Saal mit einer zentralen Kuppel erzwang vom Bühnenbildner Dieter Richter, mit der lang gestreckten Bühne den Saal mittig zu teilen. Der Musikalische Leiter Konrad Junghänel teilte daraufhin auch sein Orchester in zwei Abteilungen, und auch das Publikum saß nun auf zwei Seiten: vor der Bühne oder hinter der Bühne, je nachdem, in welche Richtung die Darsteller agierten. Durch eine Gaze war die Bühne abgespannt, der Zuschauer hockte wie vor einem Aquarium, in dem hinreißend gespielt und gesungen wurde. Das vorgehängte Netz (der Intrigen) riss zum Finale, nackt und wahr und kalt glänzte das Bühnenlicht, die Realität führte die Katastrophe herbei. Selten griff ein Raum so massiv in die Inszenierung und besonders so wirkungsvoll in den Erfolg eines Stückes ein wie in dieser ersten Produktion im Ausweichquartier. Sängerstars wie Sandrine Piau als Poppea und Franco Fagioli als Nero genossen das Besondere, das Ensemble spielte insgesamt traumhaft. Das führte zum größten Opernerfolg in Köln seit langer Zeit.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Sinfonische Vollender
Gil Shaham in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 11/24
Aus Alt mach Alt
Tage Alter Musik in Herne 2024 – Klassik an der Ruhr 11/24
Weiblicher Beethoven
Emilie Mayers 5. Sinfonie im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 10/24
Ein Himmel voller Orgeln
Zwei Orgelfestivals in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 10/24
Mit virtuoser Blockflötistin
33. Festival Alte Musik Knechtsteden in Dormagen und Köln – Klassik an der Ruhr 09/24
Nach François-Xavier Roth
Der Abgang des Kölner GMDs sorgt für Umbesetzungen – Klassik am Rhein 09/24
Barock und Filmmusik
Open-Air-Konzerte „Viva Italia!“ im Ruhrgebiet – Klassik an der Ruhr 08/24
Exotische Musik
„Sounds of Nature“ und „Diálogos de amor“ beim Niederrhein Musikfestival 2024 – Klassik am Rhein 08/24
Akademische Bürgernähe
Michael Ostrzyga dirigiert „Elias“ in Bergheim und Köln – Klassik am Rhein 07/24
Pop-Hit trifft düstere Rarität
Semesterkonzert an der RUB – Klassik an der Ruhr 07/24
Bruckners „verfluchte“ Neunte
„Von Herzen – Letzte Werke“ in Bochum – Klassik an der Ruhr 06/24
Mit Hochdruck bei der Arbeit
Die Orgelfeierstunden im Kölner Dom – Klassik am Rhein 06/24
Träume aus alten Zeiten
Zamus: Early Music Festival 2024 in Köln – Klassik am Rhein 05/24
Ungewünscht brandaktuell
Auftakt zum Klangvokal Festival Dortmund 2024 – Klassik an der Ruhr 05/24
Wiederentdeckt
Werke von Amerikas erster schwarzer Klassikerin in Essen – Klassik an der Ruhr 04/24
Orchester der Stardirigenten
London Symphony Orchestra in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 04/24
Blickwechsel in der Musikgeschichte
Drei Spezialisten der Alten Musik in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 03/24
Spiel mit den Elementen
Alexej Gerassimez & Friends im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 03/24
Temperamentvoller Sonntag
Bosy Matinée mit Asya Fateyeva und Gemma New in Bochum – Klassik an der Ruhr 02/24
Hellwaches Monheim
Das Rheinstädtchen punktet mit aktueller Kultur – Klassik am Rhein 02/24
Abenteuerliche Installation
„Die Soldaten“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 01/24
Keine Grenzen
Philharmonix in Dortmund und Düsseldorf – Klassik an der Ruhr 01/24
„Herrliche Resonantz“
Avi Avital in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 12/23
Mit Micky Maus am Dirigierpult
Elim Chan und das Antwerp Symphony Orchestra in Dortmund – Klassik an der Ruhr 12/23
Musik aus drei Jahrhunderten
Quatuor Modigliani in der Philharmonie Köln – Klassik am Rhein 11/23