Schon als kleines Mädchen war Frankie fasziniert von Tornados. Und manchmal hat sie das Gefühl, als tobe ein echter Wirbelsturm in ihrem Kopf, weil da so viel ist, das sie nicht zuordnen oder verarbeiten kann. Frankie ist neurodivers. Sie zeigt Merkmale des Asperger-Syndroms, leidet unter ADS und einer Störung der Sinnesverarbeitung. Das sind eine Menge Herausforderungen für die 13-jährige Protagonistin in Cat Patricks Roman „Tornado im Kopf“, der letztes Jahr im Beltz Verlag erschienen ist – eine Geschichte über Freundschaft und Geschwisterliebe, untermalt mit allerlei Spannungsmomenten und einer Mischung aus trockenem Humor und Feinfühligkeit.
Das Buch richtet sich an Kinder ab 11 Jahren, wobei das empfohlene Lesealter leicht erhöht werden könnte, da die Handlung an manchen Stellen für eine älteres Publikum passender scheint. So beginnt die Geschichte an einem Freitagvormittag mit der Nachricht, dass Frankies ehemalige beste Freundin Colette verschwunden ist. Gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Tess beginnt Frankie die Suche nach der vermissten Freundin und stößt dabei auf Videomaterial, das neue Hinweise liefert. In Rückblenden erzählt die Autorin, wie die beiden Mädchen sich voneinander entfernt haben, und beschreibt dabei auf einfühlsame Weise Frankies Bemühungen, sich den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechend zu verhalten, wenn sie etwa spürt, dass ein Wutanfall im Anmarsch ist oder es ihr nur mit großer Anstrengung gelingt, einen Impuls zu unterdrücken. Dass die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt wird, verstärkt das Gefühl des Lesers, sich mit den Empfindungen der Protagonistin identifizieren zu können. Frankie möchte einfach „normal“ sein und stößt in ihren Versuchen, sich ihrem neurotypischen sozialen Umfeld anzupassen, immer wieder auf Unverständnis. Ihre Leidenschaft für Tornados hilft der 13-Jährigen dabei, sich in einer Welt zurechtzufinden, die sie manchmal nicht ganz versteht. Jedes Kapitel wird mit einem neuen Fakt über Tornados eingeleitet, wie beispielsweise, dass die heftigen Wirbelstürme immer aus einem Gewitter heraus entstehen und im Normalfall nur wenige Minuten andauern.
Die Handlung des Romans findet in Long Beach statt, wobei das Setting – rauschende Meereswellen, sandige Straßen und ein Cottage nahe der Pension, in der Frankies Mutter arbeitet – die latent ansteigende Spannung der Geschehnisse untermauert. Die Idee zu „Tornado im Kopf“ kam Cat Patrick an eben diesem Ort und sie beschloss, eine Handlung um die Küstenstadt zu zeichnen. In ihrem Nachwort betont sie, wie wichtig es sei, mehr Literatur über neurodiverse Protagonisten anzubieten, sodass neurotypische Menschen ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie bewundernswert es ist, dass es manchen Menschen gelingt, sich einer Welt anzupassen, die scheinbar nicht für sie geschaffen ist – und wie viele stille und unsichtbare innere Konflikte diese Menschen Tag für Tag austragen.
Cat Patrick: Tornado im Kopf | Aus dem Englischen von Petra Knese | Beltz & Gelberg Verlag | ab 11 Jahren | 271 S. | 15 €
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