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Shanghai strebt nach oben
Foto: Michael Cramer

Wagnis Wagner

02. November 2010

Der Kölner Ring in Shanghai - Klassik in NRW 11/10

Die Wogen glätten sich nur langsam, so verstimmt war die Bürgerschaft über das Großprojekt von Stadt und Kölner Oper, den „Grünen Ring“ des Regisseurs Robert Carsen in Shanghai im Rahmen der Weltausstellung zu präsentieren. In Zeiten knapper Kassen lassen sich solche Großtaten mit unkalkulierbarer Vorteilsnahme in der Zukunft nur durch rosarote Brillen betrachten, sonst wagt sich niemand in die Terra incognita: Eine Ring-Produktion nach China zu exportieren, bleibt auch im 21. Jahrhundert ein Abenteuer – mit allen Wagnissen und Unabwägbarkeiten. In dem Strudel um Luxushotels und Festefeiern der Wirtschaftsdelegation dürfen hier einige erhellende Anmerkungen eines alleinreisenden rosabrillenlosen Beobachters zur Kenntnis gebracht werden.
Wirtschaftsdelegation und Kölner Oper dürfen in keinem Falle in einen Topf geworfen werden. Was die Kölner Oper in Shanghai und im Vorfeld geleistet hat, das war ein logistisches wie diplomatisches Meisterstück. Egal, wie viele Millionen dabei vergraben wurden: Niemand aus dem riesigen Team der Oper hatte auch nur die kleinste Chance, sich einen Lenz zu machen. Nicht nur die Roten Funken marschierten schwitzend in vollem Ornat über das Expo-Gelände – ein selbst bestimmtes wie finanziertes Schicksal. Auch alle auf, vor oder hinter der Bühne beteiligten Westler hatten sich an 100% Luftfeuchtigkeit bei 30 Grad zu gewöhnen. Da war es nur ein Segen, dass China mit Energie nicht sparen muss und die Kulturtempel entsprechend herunterkühlt.
Womit ein anderes Thema angesprochen sei: Der Ring und seine Folgen! Als die riesige eiserne Riesenkralle des Drachen in Form der Schaufel eines Abrissbaggers auf die Bühne hernieder fuhr, da zuckten die Chinesen im Bühnenraum zusammen. Denn nicht nur zu Drachen, Gold und Schwertkampf, die ja nur noch in zeitgenössischer Übersetzung im Kölner Ring auftauchen, haben die Einwohner Shanghais eine eigene Beziehung. Die Abrissbirne ist das Lieblingsspielzeug moderner Städteplaner. Neben jedem Hochhaus, das in den Himmel schießt, ducken sich am Boden noch alte Mauerreste und Abbruchgelände mit Gebäudefragmenten, in denen die Bewohner notdürftig hausen. Die Bagger schweigen nur momentan, weil durch den Expo-Zirkus Massen von fremden Gästen in der Stadt gastieren.
Die Schaufel als Symbol für den Drachen, den der junge tolle Siegfried in der Sage mit seinem Spezialschwert erlegt, ist also für den Chinesen der Heilsbringer der Zukunft für ein besseres Leben in besseren Städten.
Was der chinesische Musikfreund überhaupt aus der fantasievollen Übersetzung eines ihm unbekannten Sagenstoffs herausfiltert, ob weitreichende Weisheit oder rein ästhetischen Genuss einer hervorragenden musikalischen Umsetzung, das wird niemand so genau erfahren. Das Publikum im voll besetzten Theater-Saal, der am Vorabend erst halb gebucht war und von wundersamer Hand trotz erheblicher Eintrittsgelder wie bestellt von jungen Intellektuellen bevölkert wurde, hielt den unvertrauten Marathon ohne Murren aus und applaudierte anschließend frenetisch – bis mancher jungen Dame die Hände weh taten. Die jungen Zuhörer können ihren Eltern davon erzählen – ältere asiatische Menschen kamen nämlich im Publikum nicht vor.

Olaf Weiden
Olaf Weiden arbeitet als Musiker und Musikkritiker in NRW

Olaf Weiden

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