Frisches Tempo hat die Alte Musik-Bewegung in die Kompositionen der Barockmeister gebracht. Jetzt überholt das „Kölner Fest für Alte Musik“ unter dem Titel „Carnaval“ sogar den rheinischen Karneval – knapp drei Wochen vor Weiberfastnacht startet mit der Madrigalkomödie „Eine Bootsfahrt von Venedig nach Padua“ des Tonsetzers Adriano di Bologna, seit 1587 Mönch der Olivetaner, das einwöchige Festival. Daheim in seiner Akademie trug Adriano den Beinamen „Il Dissonante“, allein diese Tatsache weckt Aufmerksamkeit. Denn gegen Jahreswechsel war es bereits im Mittelalter üblich und erlaubt, in der närrischen Zeit Kirche, Klöster und damit verbundene Zeremonien heiter auf die Schippe zu nehmen, ohne gleich gerädert zu werden. Da durften sich die Musiker auch jedes schiefe Tönchen erlauben. Allerdings nimmt der Normalbürger damals als schrecklich empfundene Dissonanzen – wir sprechen über einen Bekannten von Claudio Monteverdi - in der heutigen Zeit nicht als unangenehm wahr. Es dirigiert Hermann Max, der Mann mit dem ganzjährigen Afro-Look, die Rheinische Kantorei und sein Orchester „Das Kleine Konzert“ - da wird die qualitative Messlatte in den sehr atmosphärischen Balloni Hallen gleich hoch aufgelegt.
Thomas Höft, der kauzige Festivalleiter, berichtet in einem Statement zu närrischer Tradition sogar von dem Brauch, zum „Fest der unschuldigen Kinder“ einen Kinderabt zu wählen, der an diesem Tag das Sagen über das Kloster erhielt – praktisch wie der Prinz in Kölle in seiner Hofburg. Ansonsten stand wohl in der Erwachsenengesellschaft dieser lustigen Tage wie auch heute Sex und Alkohol im Zentrum des Interesses, damals amüsierten sich die Feiernden auch noch verstärkt mit dem Glücksspiel. Diesem Brauch widmet das Fest eine halbszenische „Würfelspielermesse“, die in der mittelalterlichen Handschriftensammlung der Carmina Burana in Benediktbeuren überliefert wurde und jetzt im Kirchenschiff des Museums Schnütgen einen mehr als idealen Spielort findet.
Das Festival funktioniert dezentral und wandert noch weiter in den gemütlichen Festsaal im Belgischen Haus, in die Trinitatiskirche, die ja auch von der Oper genutzt wird, und in den Konzertsaal im Zamus, dem Zentrum der Alten Musik in Ehrenfeld, wo Schumanns Carnaval op. 9 zu hören sein wird. Auch vor Camille Saint-Saens „Karneval der Tiere“ macht die Alte Musik nicht halt, denn der Terminus hat längst seine Basis in Renaissance und Barock verlassen. Adrian Schvarzstein, ein angesagter Clown, Schauspieler und Regisseur für Zirkus und Theater, entwickelt zu dem Kinderhit eine szenische Aufführung. „Wahn, Taumel, Verführung“ ist kein Karnevalsroman zur Session, sondern der Titel zu einer närrischen Flötennacht mit Dorothee Oberlinger, die ihr Sortiment edelster Flauti perfekt beherrscht. „Mozarts Wien im Faschingsrausch“ vermittelt der österreichische Schauspieler Johannes Silberschneider, der Mezzostar Manuela Custer singt Offenbach und Rossini, und die Festivalbesucher sind auch schon mal aufgefordert, kräftig mitzusingen – allerdings keinen Ostermann-Hit, sondern einen Klassiker der Moderne des Minimal-Komponisten Terry Riley. Auch das ist Alte Musik.
Carnaval! Kölner Fest für Alte Musik | 7.-16.2. | Zentrum für alte Musik Köln | www.zamus.de
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