Kaum etwas wird so kontrovers diskutiert wie die Globalisierung. Während einige in ihr Vorteile wie wirtschaftliches Wachstum und kulturellen Austausch sehen, befürchten andere Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit.
In den letzten Jahrzehnten hat die Globalisierung tiefgreifende Veränderungen in der internationalen Politik und Wirtschaft bewirkt. Die einst dominante Vorherrschaft der USA gerät ins Wanken, während China und Indien wirtschaftlich aufsteigen und neue Handelsbündnisse wie BRICS entstehen. Historisch gab es immer wieder Phasen der Hegemonie einzelner Staaten: Großbritannien dominierte bis zum Ersten Weltkrieg, danach übernahmen die USA diese Rolle. Doch nun zeichnet sich eine multipolare Weltordnung ab, in der aufstrebende Mächte stärker mitbestimmen.
Neue Verhandlungsräume
Joris Steg sieht diese Entwicklung ambivalent. Der promovierte Soziologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Soziologie der Politik an der Uni Wuppertal. Einerseits könnten neue Machtzentren bisher benachteiligten Ländern mehr Verhandlungsspielraum bieten, erklärt er, andererseits könnte der Machtverlust etablierter Staaten zu Konflikten führen, indem sie versuchen, ihre geopolitische Stellung zu behaupten. Russland habe bereits gezeigt, dass es bereit ist, dafür militärische Mittel einzusetzen.
Die USA haben unter Trump begonnen, sich aus multilateralen Strukturen wie dem Pariser Klimaabkommen oder der Weltgesundheitsorganisation zurückzuziehen. „Die USA setzen auf wirtschaftliche Protektionismus-Maßnahmen wie Zölle und Embargos, insbesondere gegen China“, erklärt Steg. Der globale Machtkampf verlagere sich zunehmend auf wirtschaftliche und technologische Felder.
Gespaltene EU
Die BRICS-Staaten entwickeln sich zu einem Gegengewicht zur westlichen Dominanz und fordern eine gerechtere Verteilung von Macht und Ressourcen. Gleichzeitig verliert die EU an Einfluss.
Wirtschaftliche Stagnation und demografische Veränderungen schwächen ihre globale Position. Zudem bleibt die EU sicherheitspolitisch von der Nato und den USA abhängig. Steg erklärt: „Die EU ist in vielen Fragen gespalten – sei es in der Wirtschafts- oder Außenpolitik. Dies führt dazu, dass sie auf globaler Ebene weniger Einfluss hat als noch vor einigen Jahrzehnten.“
Ein weiteres Dilemma ist das Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichem Fortschritt und ökologischen Folgen. „Wirtschaftswachstum geht oft zu Lasten des Klimas“, betont Steg. Selbst Industriestaaten wie die USA oder Deutschland priorisieren in erster Linie wirtschaftliche Interessen. Lösungsansätze wie erneuerbare Energien oder nachhaltige Landwirtschaft könnten diese Entwicklung abmildern.
Neue Krisen
Mit der Machtverschiebung entstehen neue Krisen. Der Taiwan-Konflikt könnte zu einem globalen Krisenherd werden. Auch Migration infolge des Klimawandels und der Rohstoffknappheit birgt erhebliches Konfliktpotenzial. Zudem gewinnt der Kampf um technologische Vorherrschaft – insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz und Datenkontrolle.
Einfache Lösungen gebe es nicht, so Steg: „Wichtig ist aber, diplomatische Mechanismen zu stärken, den Klimawandel zu bekämpfen und sowohl globale als auch innergesellschaftliche Ungleichheiten abzubauen, um eine gerechtere Weltordnung zu schaffen.“
Die Welt steht an einem Wendepunkt. Alte Machtstrukturen geraten ins Wanken – neue sind noch nicht gefestigt. Ob die Zukunft multipolar oder erneut blockbasiert sein wird, ist ungewiss. Es bleibt abzuwarten, ob und wie die internationale Gemeinschaft diese Chancen nutzen wird.
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Panzer vs. Schulen
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Teil 2: Leitartikel – Wie der Westen Afrika in die Dauerkrise gestürzt hat
„Rassismus und Herablassung“
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Für ein Ende der Ignoranz
Teil 2: Lokale Initiativen – Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ im NS-Dok
Multipolare Wirklichkeit
Teil 3: Leitartikel – Der Abstieg des Westens und der Aufstieg des BRICS-Bündnisses
„Zunehmende Unglaubwürdigkeit des Westens“
Teil 3: Interview – Politologe Ulrich Brand über geopolitische Umwälzungen und internationale Politik
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Deutschland und der Krieg – Glosse
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Teil 1: Lokale Initiativen – Theorie und Praxis des Völker- und Menschenrechts an der Ruhr-Universität Bochum
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Teil 2: Lokale Initiativen – Der Wissenschaftsladen Bonn bietet Berufsorientierung für akademische Generalisten
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Teil 3: Lokale Initiativen – Politikwissenschaftler Detlef Sack über die Demokratie in Deutschland
Bildung für Benachteiligte
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe in Bochum
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Teil 2: Lokale Initiativen – Der Verein Mosaik Köln Mülheim e.V. arbeitet mit und für Geflüchtete
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Teil 3: Lokale Initiativen – Bildungsangebote für Geflüchtete und Zugewanderte bei der GESA
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Teil 1: Lokale Initiativen – Die Route Industriekultur als Brücke zwischen Gestern und Heute
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Teil 2: Lokale Initiativen – Das Netzwerk 2. Hand Köln organisiert Sachspenden vor Ort
Zivilcourage altert nicht
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Verein zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal
Immer in Bewegung
Teil 1: Lokale Initiativen – Sportangebote für Jugendliche im Open Space in Bochum
Jenseits der Frauenrolle
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Spieldesignerin und Label-Gründerin Mel Taylor aus Köln
Zusammen und gegeneinander
Teil 3: Lokale Initiativen – Spieletreffs in Wuppertal