Europa war die Geliebte des Zeus. Doch, wo einst sexuell die Post abging, ist von Liebe und Romantik nicht mehr viel zu spüren. Zu lähmend ist die Angst, zu hemmend sind die bürokratischen Blockaden, zu beklemmend der Wunsch nach Leitkultur. Wie soll da Leidenschaft aufkommen?
Eine Möglichkeit, die Lust wieder entflammen zu lassen, sind alternative EU-Rundfahrten mit Schnupperkurs im europäischen Parlament. Mein Erfahrungsbericht:
Erste Station der Rundfahrt: eine interaktive Tour als europäischer Brotkrümel durch die langsam mahlenden Mühlen der Bürokratie. Der Ablauf: Der Besucher wird zunächst mithilfe eines Hammers spektakulär zu einem Brösel-Haufen zerhackt. Ein noch nie da gewesenes Gefühl der, aus der wohligen Zerstückelung resultierenden, Ekstase macht sich breit. Dann wird der noch unebene, individuelle Krümel in eine Mühle geworfen und zu einem sagenhaften europäischen Einheits-Mehl zermahlen und mit einem standardisierten Siegel und Zertifikat versehen. Doch das geht nicht ohne Umschweife: Das Mehlkorn muss bei diesem Spektakel allerdings ein wenig Geduld aufbringen, kann der Prozess des Mahlens doch Jahre oder die Ewigkeit in Anspruch nehmen. Fast so lang wie Europa alt ist. Mitzubringen sind deshalb unbedingt: Butterbrote, Trinkflaschen, Wechselunterwäsche sowie eine Sauerstoffmaske bei sinkender Herzfrequenz. Hat es der Krümel geschafft, landet er als globalisiertes, stolzes EU-Mehlkorn im Küchenregal – in jedem in ganz Europa. Hat der Brösel jedoch Pech, verkommt er bis in alle Ewigkeit in den dunklen Tiefen eines nie bearbeiteten Ordners.
Zweite Station: Im „Big Brexit Camp“ versteckt sich derweil die britische Aussteiger-Community. Hier heißt es „Survival of the fittest Brit“. Der Besucher kann via Live-Cam beobachten, wie sich das englische Chaos entwickelt. Werden die durchgedrehten Insulaner den wilden Dschungel jenseits Europas alleine überleben? Auf diejenigen, die den heißesten Tipp abgeben, wartet eine Mords-Unterstützung in Milliarden-Höhe.
Station drei: Höhepunkt der Tour ist das fein säuberlich sortierte Federmäppchen eines versehentlich hier gelandeten Abgeordneten, der einer alternativen Partei angehört, der sich wie Andere in den europäischen Lustgarten verirrt hat und diesen am liebsten abschaffen würde. Als besorgter Bürger taucht man in kulturell klar strukturierte Unterwelten ein. Wahlweise wird man als Radiergummi, Löschpapier oder Lineal wiedergeboren und über das deutsche Leitbild informiert. Statt Papperlapapp wie „Öffnung der Grenzen und Toleranz“ dröhnt via Megaphon in den Boden des Mäppchens das Echo: „Schottet euch ab!“ Wagt besagtes Gummi oder Löschblatt es etwa, kritische Fragen zu stellen, heißt es: „Raus! Das Mäppchen ist voll!“ Wer jetzt noch Lustgefühle verspürt, muss Deutscher sein.
Leider bin ich aus Allem heraus geflogen. Ich kann aber allen Bürgern, die um die kulturelle Zukunft Europas bangen, nur raten: Tauchet hinein in diese wunderschöne, romantische Tour. Werdet ein Mehlkorn, beobachtet die Insulaner und lauscht im Federmäppchen den süßen Klängen des Populismus. Dann kommt die Leidenschaft ganz bestimmt zurück.
DIE EUROPÄISCHE REPUBLIK – Aktiv im Thema
heimat-europa.eu | Das Projekt richtet sich an Jugendliche und bietet Seminare für DemokratiebotschafterInnen an.
nrw-stiftung.de | Die Stiftung unterstützt gemeinschaftliches Engagement für Natur, Denkmäler und Kultur in NRW.
pulseofeurope.eu | Die Bewegung macht seit zwei Jahren mit zahlreichen Regionalgruppen mobil gegen EU-Bashing.
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