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Müh(l)en Europas

19. April 2019

Intro - Europa

Blicken wir mit Pathos auf Europa, dann schweifen die Gedanken durch Zeiten und Räume. Wir denken an die Prägung durch antike Philosophie und Staatskunst, durch Judentum und Christentum; vielleicht daran, dass das Wissen der Antike erhalten geblieben ist, weil es durch die islamische Welt gerettet wurde in Jahrhunderten, in denen der Islam dem Christentum weit voraus war in Fragen von Toleranz und Bildung; betroffen daran, dass das Judentum nicht nur prägende Kraft sondern immer auch Opfer von Verfolgung geblieben ist und dass politischer und religiöser Fanatismus uns weiterhin zusetzen.

Denken wir nüchterner an Europa, dann vielleicht an die 1958 wirksam gewordenen Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft oder an den im November 1993 wirksam gewordenen Vertrag von Maastricht, der die Europäische Union begründet hat. Große Ideale verbinden sich auch hiermit: Sicherheit, Frieden, Demokratisierung, Wohlstand. Gewöhnt haben wir uns aber an andere Töne, vom Gejammer über bürokratischen Ordnungsfimmel bis zu Austrittsbestrebungen. Es geht um Geld, Märkte und Wachstum, um Macht und die Bevormundung durch Einzelstaaten, darum, welche Identität uns einen könnte und um Angst vor Überfremdung. Wir kritisieren die Gefährdung des Rechtsstaats in Ungarn, die Leichtsinnigkeit der sogenannten deutschen Grenzöffnung von 2015 oder die Verlegung von Sozial- und Umweltlasten in die Länder des Südens.

Es herrscht, mit der Politologin Ulrike Guérot zu sprechen, längst eine „Polykrise“ Europas, von Demokratiedefizit über Bankenkrise, Eurokrise, Nationalismus bis zu Handelskriegen. Wir schauen aber auch anerkennend aufeinander, bewundern die französische Streikkultur, den deutschen Sozialstaat oder den Zusammenhalt der griechischen Zivilgesellschaft. Der Wille, voneinander zu lernen, scheint nicht verloren.

Sollten wir das Projekt Europa trotzdem langsam ausklingen lassen, nachdem gleichsam seinen Mühlen der Stillstand droht? Oder sind brillante Lösungsvorschläge wie ungehört verklungen?

Unser Monatsthema DIE EUROPÄISCHE REPUBLIK spürt solchen Vorschlägen nach. Wann dürfen wir endlich von europäischen BürgerInnen sprechen, von EuropäerInnen also, die ausnahmslos die gleichen Rechte haben, ungeachtet ihrer Geburtsorte? Wie können wir eine europäische Identität vereinbaren mit dem von Millionen Menschen geteilten Bedürfnis, ihre Vorstellungen von Heimat zu pflegen? Welches Kulturverständnis kann uns einander näherbringen, statt dass Kulturstreit zum Herrschaftsinstrument verkommt?

Mühsam? Ja! Aber kommen wir darum herum? Naiv wäre es, anzunehmen, für globale Lösungen könnten wir anders eintreten als eben als EuropäerInnen. Und Lösungen braucht es dringend, angesichts von Klimawandel, Biodiversitätsverlusten, Armut, Digitalisierung, Massendaten, Flucht und Migration. Die Mühen ist es wert.

Dino Kosjak / Chefredaktion

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