Wenn Schauspieler Opern inszenieren, weckt das immer besondere Erwartungen. Oft zu Recht. Schauspieler bringen meist Schwung ins Bühnengeschehen, verordnen den Sänger mehr Action als opernüblich. Auch von Imogen Kogge, ehemalige „Polizeiruf“-Fernseh-Kommissarin und einstiges Ensemblemitglied der Schauspielhäuser Bochum und Düsseldorf, hat das wohl so mancher erwartet, als sie gemeinsam mit Tobias Hoheisel Bellinis „Norma“ für das Essener Aalto-Theater in Szene setzte. Allein: Es gibt kaum eine Oper, die sich weniger eignete für eine spritzige Inszenierung. Und so tut das Regieduo das genaue Gegenteil des Erwarteten. Es inszeniert extrem zurückhaltend, reduziert und lenkt so den Blick ganz konzentriert auf die handelnden Personen.
Es ist kein Zufall, dass die „Norma“ zwar immer zu den großen Glanzpartien der großen Operndiven (allen voran Maria Callas) gezählt hat, das Stück aber jahrzehntelang in kaum einem Stadttheater zu sehen war. Erstens braucht es schon eine Sopranistin von Format für eine gute „Norma“ – und zweitens gibt der Zweiakter szenisch nicht viel her. Die Dramaturgie ist sehr schematisch; jede Szene findet in einem eigenen Bild, einem Tableau, statt, welches überwiegend vom Chor bevölkert wird. Versuche, diese Statik aufzubrechen, sind zum Scheitern verurteilt. So versuchen es Kogge und Hoheisel auch erst gar nicht, denn eine Sopranistin von Format ist in Essen durchaus vorhanden: Katia Pellegrino hat eine Stimme mit großem dramatischem Potential, ohne die metallische Härte einer Wagnersängerin, aber mit weiteren lyrischen Ausdrucksmöglichkeiten. Schon früh in ihrer Karriere hat sie die Norma gesungen und seitdem immer wieder. Das hört und spürt man. Die Achterbahn der Gefühle, die die verbotene Beziehung der gallischen Hohepriesterin zum Römer Pollione auslöst, hat sie in all ihren Facetten fein ausgelotet und verinnerlicht.
Auch eine zweite Frauenstimme lässt an diesem Abend aufhorchen: Mezzosopranistin Bettina Ranch als Normas junge Nebenbuhlerin Adalgisa, die von Pollione ebenso hintergangen wird und mit der Norma schließlich eine Freundschaft verbindet. Den beiden Frauen gelingt eine sehr starke gemeinsame Szene, in der sie im stimmlichen Kontrast ihrer geradezu komplementären Timbres und mit hohem darstellerischen Einsatz überzeugen. Inwieweit die Regie ihren Anteil daran hat, bleibt unklar. Dafür gibt es an diesem Abend zu viele auch ungelenke Posen. Tobias Hoheisel, der ebenso für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet, dürfte damit jedenfalls den prägenderen Anteil an dieser librettonahen Inszenierung haben, die man nur als konventionell bezeichnen kann.
Vielen Opernpuristen dürfte dies indes mehr als recht sein. Zumal mit dieser durchweg, auch in den kleinen Partien, guten Besetzung und dem glänzenden jungen Dirigenten Giacomo Sagripanti (2016 als „bester Nachwuchsdirigent“ ausgezeichnet) ein musikalisches Niveau geboten wird, das keinen Vergleich zu scheuen braucht.
„Norma“ | R: I. Kogge, T. Hoheisel | Sa 8.7., Sa 15.7. 19 Uhr | Aalto-Musiktheater Essen | www.aalto-musiktheater.de
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