Finsternis total. Dann diffuses, graues Licht, eine Wand. Allmählich schälen sich Gestalten aus dem nebulösen Dämmer, mit dem Franck Evin die Kastenbühne Frank Philipp Schlößmanns überzieht. Etwas kriecht über die verbrannte Materie des Bodens, die später immer wieder zu schwarzen Hügeln aufgehäuft wird. So einen Tag haben sie noch nie gesehen, versichern sich Banco und Macbeth, und gleich werden sich in Giuseppe Verdis Oper über den blutigen Feldherrn Shakespeares die Hexen auf die beiden Krieger zuwälzen, ihre Beine umklammern. Kein Entkommen.
In der Inszenierung der 1999 geborenen Emily Hehl öffnet die Bühne einen Raum, in dem sich die Triebkräfte und Emotionen der Personen in ausufernden Choreographien entfalten. Körperliche Expression will Gesang und Spiel ergänzen. Agata und Teodora Castellucci, Mitglieder der Performancegruppe „Dewey Dell“ zitieren Gesten aus der bildenden Kunst, aber auch Banalitäten der „freien“ Tanzszene, um innere Zustände in Bewegung zu übersetzen. Im Kopf von Macbeth rasen die Gedanken und spiegeln sich im wilden Zucken von Performerinnen im Raum der Bühne. Wenn Lady Macbeth ihre düstere Gier nach Macht beschwört, wackelt eine erratische Gestalt schweigend mit dem Kopf. Später wird die Lady diesen Kopf selbst zu bewegen versuchen. Aber die Machtübernahme über das Innenleben, das Unterbewusste, vielleicht auch die in ihren Seelenklüften lauernde Bosheit will ihr nicht glücken.
Keine Macht über das Innere
Emily Hehl hat diese Szenenbilder offenbar präzise erdacht. Aber die Konsequenz aus dem engen Bezug von Innen- und Außenraum vermittelt sich nur schwer. Der zweite Akt, der vom Kontrast des brillanten äußeren Auftretens des neuen Königspaares mit der Überwältigung Macbeths durch seine inneren Angstvisionen lebt, bleibt als lähmender Gespensterreigen blutleer. Die Hexenszenen des dritten Aktes – endlich traut sich eine Regie einmal, die fantastische Ballettmusik Verdis aus der Pariser Überarbeitung von „Macbeth“ einzubeziehen – verzetteln sich zwischen Hängern in fleischigen Rot- und Orangetönen. Sie behaupten einen Gegensatz zu den Schwarz-, Grau- und Weißtönen der Bühne, lösen sich aber als Bildmetapher auch wegen der begrenzt originellen Körperaktionen der Tänzerinnen Anna Maria Papaiacovou, Julia Schalitz und Sena Shirae nicht ein. Und der an sich selbst schwer tragende Macbeth sitzt halbnackt auf einer Scheibe außerhalb und betrachtet sich selbst.
Ehrgeizig inszeniert
Die berühmte Nachtwandelszene wirkt beinahe zitathaft, könnte auch vor 50 Jahren an der Scala so hingestellt worden sein – und der Coup, der die von Angstgespinsten gepeinigte Lady verschwinden lässt, erzeugt Schmunzeln im Publikum. Eine ehrgeizige Inszenierung, die in ihrer eigenen Herausforderung stecken bleibt. Emily Hehl ist eine Senkrechtstarterin; von daher ist sie kein schlechter Griff der neuen Aalto-Intendantin Merle Fahrholz: Sie hat bei den klingenden Namen der zeitgenössischen Regieszene assistiert, war 2021 bei Jan Lauwers „Intolleranza“ mit dessen Needcompany in Salzburg dabei und inszeniert im Januar 2024 in Dortmund die deutsche Erstaufführung der Oper „La Motagne Noire“ („Der schwarze Berg“) der vergessenen französischen Komponistin Augusta Holmès aus dem Jahr 1895: Man darf der jungen Regisseurin dafür wünschen, dass sie für die Klarheit des Gedankens sinnlich schlüssige Bildwelten findet.
Düstere Größe, zehrende Wehmut
Die „Macbeth“-Premiere war auch der Abend des neuen Essener Generalmusikdirektors Andrea Sanguineti. Er ist am Aalto-Theater wohlbekannter Gast gewesen. Verdis untergründige, in unendlichen Nuancen des Leisen und des Majestätischen bebende Partitur will ihm dennoch nicht so recht aus der sorgfältig Zeichen setzenden Hand fließen. Düstere Größe und zehrende Wehmut sind schon im Vorspiel instrumental vom Orchester einwandfrei bewältigt, in der Haltung aber zu neutral nebeneinander; prägnante Staccati und Rhythmusfiguren klingen eher nach lyrischem Donizetti als nach der zupackenden Schärfe des jungen Verdi. Nur selten baut Sanguineti das innere Drängen der Musik auf – so im großen Sextett mit Chor, das in erfülltem musikalischen Duktus und spannender dynamischer Entwicklung gelingt. Da ist auch der Chor von Klaas-Jan de Groot mit prachtvollem Klang dabei.
Beachtliches Debut
Wie schon vor 10 Jahren, als Hein Mulders und Tomáš Netopil ihre Amtszeit ebenfalls mit „Macbeth“ begannen, verbreiten die Solisten nur gebrochenes Glück. Der neue Sopran im Ensemble, Astrik Khanamiryan, ist eine Enttäuschung: Vibrato und sonst nichts. Als Macbeth gastiert der momentan sehr erfolgreiche Bariton Massimo Cavalletti: Er versteht es, leise und dennoch spannungsvoll zu singen; wenn die Stimme blühen soll, werden aber schnell Grenzen erreicht. Dennoch ein beachtliches Debut.
Auch der Tenor Alejandro del Angel bemüht sich, während er aus unerfindlichen Gründen an einem Seil ziehen muss, um expressiven Schönklang, ohne die Stimme auszustellen. Das hat Potenzial und man wartet gerne auf eine Partie, in der del Angel auch andere emotionale Facetten zeigen kann. Banco düster-balsamische Vorahnungen singt Sebastian Pilgrim standfest, aber mit seltsam in die Kehle rutschenden Vokalen und nicht unangefochtener Linie.
In den Beifall mischten sich kräftige und ausdauernde Buhs für die Regie. Ein gebremster Start in eine neue Spielzeit. Zunächst aber richtet sich der Blick auf eine andere „Lady“: Eliza Doolittle wird sich ab Ende September im Aalto-Theater wohl eher „fair“ verhalten als Shakespeares macht- und mordlüsterne Protagonistin, die – nebenbei bemerkt – in Johan Simons Schauspiel-Inszenierung nebenan in Bochum noch einige Male zu erleben ist.
Macbeth | 16., 20., 29.9.,; 21., 27.10.; 5., 12., 16.11.; 14.12. | Aalto-Theater Essen | Info: 0201 81 22 200
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