2024 verabschiedete die rumänische Regierung ein Gesetz, das Glücksspielautomaten in Städten mit weniger als 15.000 Einwohnern verbietet. Anbieter verlieren ihre Lizenz, wenn sie neue Automaten in Kleinstädten aufstellen oder nicht die bisher errichteten Spielautomaten abbauen. Außerdem drohen Geldstrafen, falls Minderjährige nicht konsequent aus Glücksspieleinrichtungen ferngehalten werden. Bisher fanden in den Einrichtungen kaum Ausweiskontrollen statt und Spieler wurden nicht erfasst. Dadurch konnten Minderjährige trotz Altersbeschränkungen problemlos Zutritt erhalten. Die liberale Oppositionspartei USR, die sich für Korruptionsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit einsetzt, forderte, Spielautomaten auch in Großstädten zu verbieten.
Nach der Revolution 1989 zog es viele Rumänen in die neuen Casinos. Über tausend Menschen starben bei den Protesten gegen das neo-stalinistische Ceaușescu-Regime. Die Spielstätten lockten mit Gratisessen und Unterhaltung. Weder die Betreiber noch die Politik warnten vor der hohen Suchtgefahr der Automaten, die den Betreibern hohe Gewinne brachten. Infolgedessen wuchs die Zahl der abhängigen Spieler in Rumänien über Jahrzehnte an.
Glücksversprechen in der Not
Vor allem einkommensschwache Menschen zieht die Hoffnung auf Gewinn an die Spielautomaten. In Deutschland sind laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vor allem ärmere Männer unter 25 Jahren gefährdet, problematisches Spielverhalten zu entwickeln. Laut dem Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) lag die Armutsgefährdungsquote in Deutschland 2023 bei 16,6 Prozent, während Rumänien mit 32 Prozent den höchsten Wert in der EU verzeichnete.
Eine Studie der damaligen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA, jetzt Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit, BIÖG) von 2019 ergab, dass in Deutschland hochgerechnet 229.000 Menschen krankhaft spielen, das entspricht 0,39 Prozent bei einer Bevölkerung von 83 Millionen. Zählt man auch leichtere Fälle hinzu, steigt der Anteil auf 2 bis 3 Prozent. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts GfK – beauftragt durch die Glücksspielbranche – sind 114.000 Menschen in Rumänien spielsüchtig, 0,6 Prozent der Bevölkerung. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.
Ein erster Schritt
Rumänien ist neben Litauen und der Slowakei eines der wenigen EU-Länder, das gegen Glücksspielautomaten vorgeht. In Litauen sind sie nur in lizenzierten Einrichtungen erlaubt, in der Slowakei nur in bestimmten Räumen wie Hotels oder Geschäftshäusern. Laut dem rumänischen Nationalen Institut für Statistik (INS) lebten 2021 rund 12 der 19 Millionen Rumänen in Orten mit weniger als 15.000 Einwohnern. Demnach betrifft das Verbot von Glücksspielautomaten rund 63 Prozent der Bevölkerung.
Rumänien folgt mit dieser Maßnahme einer Empfehlung der Studie „On Gambling“, die 2024 im Fachmagazin The Lancet Public Health erschien. Darin raten Forschende, das Glücksspielangebot zu reduzieren und Werbung zu verbieten. Sie fordern zudem, Suchtbehandlung und Forschung unabhängig von der Glücksspielindustrie zu finanzieren, statt die Verantwortung dafür weiterhin den Anbietern zu überlassen.
Der Online-Glücksspielsektor bleibt in Rumänien unangetastet. Anders als in Litauen: Dort müssen Online-Anbieter ein Unternehmen im Land gründen, und eine Kontrollbehörde überwacht die Einhaltung der Gesetze. Ziel ist es, unkontrollierte Geldströme zu verhindern. Ob Rumänien weitere Schritte plant, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch: Mit diesem Gesetz wurde ein erster Schritt zur Eindämmung der Spielsucht getan.
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