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Kübra Gümüşay
Foto: Mirza Odabaşı

„Das ist eine koloniale Haltung“

11. März 2020

Kübra Gümüşay über Rassismus im Feminismus

trailer: Frau Gümüşay, Sie bezeichnen sich als Feministin. Wofür setzen Sie sich ein?

Kübra Gümüşay: Für mich ist Feminismus vor allem auch eine Methode, um die Normen und Strukturen unserer Gesellschaft überhaupt erst zu erkennen, zu schauen, wie sie ausschließend und ungerecht wirken können. Es trainiert das Denken, dahin zu schauen, wo immer noch Ungerechtigkeiten bestehen mit besonderem Fokus auf Geschlechtergerechtigkeit. Für mich weitet sich das aus, auch hinsichtlich Diskriminierung aufgrund des Körpers, der sexuellen Identität, der Religion, der Hautfarbe, des Glaubens etc. Ich versuche, umfassender an das Thema heranzugehen. Dabei sehe ich meine Aufgabe als Autorin darin, viele dieser Prozesse, soweit ich sie erschließen kann, verständlich in Worte zu gießen.

Rassismus und Feminismus: augenscheinlich zwei Bereiche, die nicht so recht zusammen passen?

Das ist für mich so, als würde man Bäume mit Autos vergleichen. Um sich nachhaltig mit dem Thema Feminismus auseinandersetzen zu können, schließt sich die Beschäftigung mit Rassismus dem an. Denn keine Diskriminierungsform lässt sich nachhaltig bekämpfen, ohne andere Formen zu kennen, die ähnlich wirken. In der Folge ist es wichtig, Solidaritäten aufzubauen und Räume zu schaffen, in denen man diese Muster zusammen denkt.

Wo gibt es im Alltag rassistischen Feminismus?

Rassismus zieht sich durch unser Bildungssystem, unser Gesundheitssystem, praktisch alle Teile unserer Gesellschaft. Und auch feministische Menschen – also Menschen, die sich um Geschlechtergerechtigkeit bemühen – sind nicht automatisch davor gefeit, sich rassistisch zu verhalten. Das kann beispielsweise dann passieren, wenn man im eigenen feministischen Aktivismus schwarze Frauen nicht berücksichtigt. Oder Frauen ausschließt, die muslimischen Glaubens sind, ebenso wie geflüchtete Frauen oder Frauen mit Behinderung. Wen man mitdenkt, um wen herum man die eigene Arbeit konstruiert: Das ist dabei entscheidend. Ein besonders prominentes Beispiel wären die sexuellen Übergriffe und die sexualisierte Gewalt in der Silvesternacht in Köln 2015/2016. Darüber entbrannte eine wichtige und berechtigte Debatte um sexualisierte Gewalt. Allerdings eine, in der es so aussah, als wäre sie ein Importprodukt und würde rassistisch instrumentalisiert. Es wurde so getan, als würde sie vor allem von Menschen ausgehen, die geflüchtet sind oder die aus einem bestimmten Kulturkreis stammen. Wir hatten uns damals mit einem sehr breiten Bündnis, #ausnahmslos, dagegen positioniert. Erstens, weil die Gefahr bestand, dass feministische Arbeit hierzulande dadurch geschwächt wird, im Sinne von „Woanders ist es schlimmer, was wollt ihr noch?“ Und zweitens, um einen Gegenpol zu Politikern zu bilden, die sich damit profilierten, dass sie plötzlich für die deutsche Frau einstanden. Obwohl sie sich in anderen Zusammenhängen eher nicht als große Feministen hervortaten.

Geflüchtete wurden unter Pauschalverdacht gestellt.

„Rapefugees“ war zu der Zeit ein absolut entmenschlichendes Wort, mit dem man Geflüchteten pauschal Vergewaltigung unterstellte. Diese entwürdigende, entmenschlichende Sprache erleben wir in den letzten Jahren vermehrt.

Nicht-muslimische Feministinnen sind oft vom Kopftuch irritiert. Warum?

In meiner Wahrnehmung ist es sehr, sehr differenziert, auch über Generationen hinweg. Es gibt durchaus Feministinnen, die da keinen Widerspruch sehen und sich auch für diese Pluralität innerhalb des Feminismus aussprechen. Aber wie immer in der Gesellschaft gibt es auch Menschen, die dem gegenüber abgeneigt sind und darin einen Widerspruch sehen. Das liegt daran, dass eine Wahrheit zur absoluten Wahrheit erhoben wird, nämlich die Tatsache, dass es Frauen gibt, die zum Kopftuchtragen in patriarchalen Strukturen gezwungen werden. Das ist wahr. Aber nicht die einzige, nicht die absolute Wahrheit. Differenziertheit und ein Sinn für die Komplexität der Realität sind dringend notwendig.

Weiß der westliche Feminismus, wie eine Muslima befreit werden kann? Oder muss er sich kritische Fragen gefallen lassen?

Selbstverständlich muss er das. Genauso wie es in der sogenannten Entwicklungshilfe der Fall ist. Nicht alles, was hierzulande funktioniert, kann man genauso in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent einsetzen. Mit „one size fits all“ kommen wir nicht weit. Das ist eine koloniale Haltung. Wir leben in einer sehr facettenreichen Welt, in der Antworten in einem Land, in einer Kultur, in einer Einkommensschicht, in einer soziokulturellen Gruppe nicht eins-zu-eins übertragbar auf andere sind. Ich finde, es gehört auch immer ein bisschen Demut dazu, wenn man versucht, die Welt zu einer besseren zu machen: sich bewusst zu machen, dass der eigene Horizont nicht das Ende der Welt markiert, sondern nur das Ende des eigenen Horizontes. Die Welt ist viel zu groß, um ein Lösungsmuster, das in einem soziokulturellen Kontext funktioniert, auf alle anderen übertragen zu können.

In Ihrem taz-Artikel „Gut gemeint“ sagen Sie: Musliminnen, die sich in islamischen Ländern für Frauenrechte einsetzen, sei mit rassistischen Stereotypen nicht geholfen. Was würde helfen?

Wenn man an dem Punkt ist, mit anderen Ländern gegen patriarchale Strukturen zu kämpfen, dann ist es sehr wichtig, dass man mit den Menschen dort versucht, ein Bewusstsein für den Kontext zu schaffen. Nicht nur mit einer Gruppe, sondern in der Breite der Feminismen vor Ort. Ihre vielfältigen Stimmen stärken, ohne sie für eigene rassistische, stereotypisierende Diskurse zu instrumentalisieren. Es ist nicht einfach, aber machbar. Wer sich in einem Land richtigerweise gegen eine Kopftuchpflicht einsetzt, kann sich nicht in einem anderen Land für ein Verbot einsetzen. Das Policing der Körper der Frauen ist nämlich das eigentliche Problem. Das ist u.a. das, was patriarchale Strukturen miteinander verbindet.


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Interview: Nina Hensch

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