Nadja Uhl erregte bereits 2000 in Volker Schlöndorffs „Die Stille nach dem Schuss“ internationales Aufsehen. Die 1972 in Stralsund geborene Schauspielerin glänzte danach im Oscar-nominierten niederländischen Film „Die Zwillinge“, in Andreas Dresens „Sommer vorm Balkon“ oder in preisgekrönten Fernsehfilmen wie „Nicht alle waren Mörder“ oder „Mogadischu“. In „Dschungelkind“ spielt sie nun Doris Kuegler, die ihre Familie bei einem indigenen Volk fernab der Zivilisation großzog.
trailer: Frau Uhl, man dreht ja nicht so oft im Dschungel. Was sind denn die nachhaltigsten Erinnerungen, die Sie an die Regenwälder in Malaysia mitgenommen haben?
Nadja Uhl: Ihre Frage bringt es schon auf den Punkt, man dreht ja nicht so einfach mal eben im Dschungel. Die Reise wirkte wie ein großes Versprechen. Wir haben aus Verantwortung unseren Kindern gegenüber lange überlegt, ob wir sie wagen, haben uns aber andererseits gesagt, dass man so etwas vielleicht nicht so schnell wieder geschenkt bekommt. Eine Reise in eine Region dieser Erde, die so schwer bedroht ist, dass sie vielleicht in 20 Jahren gar nicht mehr existiert. Deswegen haben wir unter anfänglichen Ängsten und Zweifeln die Reise gewagt. Wir haben versucht, die Ängste vor Gefahren, so gut es geht, auszuräumen, um dann vor Ort nachhaltig über Wochen von einem Paradies eingenommen zu werden, was uns bis heute in seiner besonderen Art und in unseren Erlebnissen dort prägt.
Im Film geht es auch um das Spannungsverhältnis Romantik/Gefahr. War es bei Ihnen dann also so, dass zunächst Gefahr als Empfindung überwog und vor Ort das Überwältigende und die Schönheit der Natur?
Nein, im Gegenteil. Es war so wie bei allen Dingen, die man im Leben wagt, dass zunächst die Begeisterung und die Neugierde im Vordergrund standen. Dann gewannen auch ganz verantwortungsbewusste Fragen die Oberhand: Wie ist es dort, worauf lasse ich mich da ein? Als Eltern ist man natürlich auch in der Verantwortung. Und so fuhr ich mit meinem fünf Monate alten Baby und meiner drei Jahre alten Tochter dann zu den Dreharbeiten im Dschungel. Für uns als Eltern war das ein Geschenk, vor Ort zu erleben und dadurch auch erst zu verstehen, wie andere Länder, von denen man sich im Vorfeld ein Bild gemacht hat, dann in Wirklichkeit funktionieren.
Wie Sie schon sagten, handelt es sich um eine bedrohte Region. In welcher Form wurde denn der Umweltschutz Thema während der Dreharbeiten?
Da bin ich vielleicht die falsche Auskunftsperson – ich weiß, dass Drehteams immer starke Auflagen haben. Aber wie die genau aussehen, kann Ihnen eher ein Produktionsleiter sagen. Das größere Umweltproblem hat aber weniger mit unseren Filmsets zu tun als vielmehr mit den Palmplantagen, auf denen Palmöl produziert wird. Das ist das sichtbare Umweltproblem in Malaysia, mit dem ich mich vorher nicht beschäftigt hatte. Wir sind bis zum Drehort durch ein Land gereist, das fast ausschließlich aus diesen Palmplantagen besteht. Dadurch konnte ich mir zum ersten Mal ein Bild davon machen, was eigentlich gemeint ist, wenn von Abholzung und Klimawandel die Rede ist. Das trägt zu einer gewissen Melancholie bei den Dreharbeiten bei, denn die Kinder, die Filmkinder und die Erwachsenen spürten, dass man sich in einem bedrohten Paradies bewegt.
Wie war denn die Interaktion mit den echten Fayu? Konnten Sie herausfinden, wie sich deren Leben seit der beschriebenen Zeit vor rund 30 Jahren verändert hat?
Man landet im Epizentrum der Probleme der Globalisierung, wenn man sich mit unseren Fayu-KollegInnen unterhält. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Papua-Neuguinea überhaupt erst entdeckt, das liegt gerade mal knapp einhundert Jahre zurück. Wir reden von Menschen, die auf extreme Weise in die Zivilisation geworfen wurden, die verhaftet sind in der Welt zwischen erlernter Stammeskultur und den Zeichen der modernen Welt. Das war für mich sehr lehrreich, zumal ich bei ihnen auf reizende, herzliche, wirklich bewegende Menschen getroffen bin. Denn sie verzichten auf jegliche Form der verschnörkelten, diplomatischen Konversation (lacht) und reden sehr unverblümt mit einem. Es wird zunächst einmal gecheckt, ob man sich mag oder nicht. Und das ist sehr befreiend, wie so manches im Dschungel sehr befreiend ist. Denn man hat keinen Handyempfang und kein Internet, man wird so ein bisschen auf das Wesentliche reduziert.
Wie schaffen Sie es, sich emotional auf die unterschiedlichsten Rollen einzulassen, die teilweise auch regelrecht gegensätzlich sind?
Es gibt ein technisches Mittel, d.h. dass es eine Frage der Konzentration auf den jeweiligen Moment ist. Man kann es sich antrainieren, sich auf einen bestimmten Moment zu konzentrieren, und in diesem Moment an nichts anderes zu denken. Wenn Sie etwas tun und davon hundertprozentig überzeugt sind, dann stellen Sie es auch nicht mehr in Frage. Das ist der momentane Zustand, aber natürlich ist genau die Phase zwischen den beiden Zuständen bei vollkommen entgegengesetzten Weltanschauungen interessant – da stelle ich mir diese Frage auch selbst. Es gehört zu unserem Beruf dazu zu akzeptieren, welche Dinge zum Leben und unserem Sein dazugehören. Wir können diese Dinge nicht ändern, aber wir haben die wunderbare Möglichkeit, sie zu reflektieren. Mein Beruf ist es, das Leben in allen Facetten widerzuspiegeln. Der Zuschauer muss sich dann daraus nehmen, was er darin findet. Dazu gehört, dass wir alle Seiten anerkennen, im Guten wie im Schlechten. Dass ich damit auch nicht immer meinen Frieden finde und am liebsten auch manchmal in meine eigene Pilcher-Welt flüchten würde, ist klar – wer möchte das nicht. Das ist aber nicht mein Weltbild. Also sage ich mir: Wenn ich schon etwas zeigen darf, dann muss es auch ausgewogen sein. Das hilft mir dann vielleicht in solchen Momenten zwischen den Extremen, dass alles auf dieser Erde scheinbar seine Berechtigung hat. Solange es passiert, resultiert es aus irgendwelchen Dingen, und wir dürfen oder müssen das zeigen.
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