Im September 2015 übernahm Dirigent François-Xavier Roth die Musikdirektion in Köln und die Leitung des Gürzenich-Orchesters. Im Interview mit choices zieht er eine erste Bilanz.
choices: Sind Sie in Köln gut angekommen, ist die Stadt inzwischen Ihr Lebensmittelpunkt geworden?
François-Xavier Roth: Jawohl! Ich fühle mich inzwischen als Kölner und bin sehr zufrieden. Natürlich hatten wir ein paar anfängliche Probleme mit dem Interim und der Opernsituation. Auch was an Silvester in Köln passiert ist, hat mich schon sehr belastet, das war schon ein Drama für alle. Dennoch: Ich fühle mich aber sehr, sehr gut mit dieser Rolle hier in Köln. Ich habe sehr schnell Kontakt zum Publikum aufgenommen, ebenso zum Orchester. Ich bin sehr froh, mit diesen Kollegen hier zu musizieren. Und im Opernhaus genauso. Wir arbeiten hier mit der ganzen Mannschaft auf beachtlich hohem Niveau, ich freue mich sehr darüber.
Zentrale Frage: Wie finden Sie das Orchester? Hat es einen besonderen Klang oder Eigenarten?
Das Gürzenichorchester ist schon etwas Besonderes, wir haben hier quasi einen Januskopf, ein Doppelgesicht, Oper und Konzert. Manche Orchester schaffen das nicht, sie sind entweder gut in der Oper oder gut im Konzert. Aber hier haben wir das totale Gegenteil. Ich denke, es macht beide Formen, beide Strukturen optimal. Die Musiker haben eine sehr große Flexibilität, sie sind für ein deutsches Orchester ganz schnell, auch für neue Dinge. Diese Offenheit für alle Musikgenres ist toll. In der vergangenen Saison präsentierten wir sehr viele unterschiedliche Musikrichtungen, und das Orchester hat ganz hervorragend reagiert. Es gibt viele Musiker aus England, Frankreich, Holland, Österreich. Daher hat das Orchester eine sehr europäische Kultur, und die finden wir natürlich auch in der Stadt Köln, die ein Europa-Treffpunkt ist. Das fühle ich, das ist ganz wichtig. Das hört man auch am Klang des Orchesters, es ist wie ein perfektes Chamäleon. Es kann sehr gut neue und moderne Musik machen, obwohl es im Kopf noch Mozart, Haydn und Beethoven hat. Eine sehr große Freude ist auch die Arbeitsatmosphäre, die Leute lachen gerne zusammen, machen Witze. Wir haben einen großen Spaß bei der Zusammenarbeit.
Wie groß sind denn der Einfluss vom Konzertmeister und der Stimmführer Ihnen gegenüber? Lassen Sie sich von Ihnen etwas sagen? Oder sind Sie da autoritär?
Nun, ein Dirigent führt ja generell. Es kann sein, dass die Musiker etwas wissen möchten, oder sie verstehen nicht genau und präzise, was ich ihnen sagen wollte. Aber es gibt keine Situation, wo ein Konzertmeister sagt: So geht es nicht oder ich mache das nicht. Ich sehe die Rolle des Dirigenten so: Er muss sehr sehr klar sein mit seiner Konzeption, und mit Arbeit erreichen wir dieses Ziel zusammen. Es kann durchaus sein, dass die Musiker im Orchester etwas anderes fühlen als ich, das ist doch völlig normal. Aber sie sind sehr froh, dass da jemand ist, der eine Vision hat. Der Musiker mag durchaus etwas anderes fühlen, aber er ist nur der ausführende Instrumentalist.
Dirigieren Sie hier in Köln eigentlich anders als zum Beispiel beim SWR? Müssen Sie hier einen anderen Dirigierstil pflegen, brauchen die Kölner mehr Power oder die Knute?
Nun, ich bin hier der Kapellmeister, ich bin hier jeweils eine Woche für ein Konzert, aber die Arbeit in meinem Kopf dauert natürlich viel länger. In der letzten Woche habe ich in Amsterdam mit dem Concertgebouw-Orchester gearbeitet. Das war meine Beschäftigung ausschließlich für eine Woche, ich habe alles gegeben, das war vielleicht auch eine interessante Zeit für das Orchester. Hier aber arbeiten wir langfristig. Das bedeutet, ich kann mich zum Beispiel konzentrieren auf einzelnene Aspekte, weil ich weiß, das ist auf Dauer sehr hilfreich für das Orchester. Bei einem anderen Orchester mache ich das natürlich nicht, weil ich weiß, ich habe dort nicht diese Verantwortung. Woanders arbeite natürlich auch so gut wie ich kann, aber hier gibt es ein viel breiteres Spektrum als nur die Konzerte.
Sehen Sie in diesem einen Jahr eine Qualitätssteigerung des Orchesters?
Aber ja! Ich denke, das Orchester spielt besser und besser.
Ist das Orchester denn inzwischen etwas verwöhnt durch Sie?
Wir probieren natürlich nicht aus, schlechte Dirigenten zu engagieren (lacht).
In der Oper herrscht dem Vernehmen nach schon mal Unzufriedenheit im Orchester über den aktuellen Dirigenten.
Das ein bisschen radikal ausgedrückt. In der Oper ist es natürlich eine andere Situation, es gibt immer sehr viele Abende für den Dirigenten. Und die Beständigkeit in diesem letzten Jahr war natürlich unter allen Aspekte schon sehr schwierig. Es war natürlich auch nicht einfach, für die letzte Saison an sehr gute Dirigenten zu kommen; wir wussten nicht, wo wir spielen würden, von daher gesehen war die Synchronisation mit der Oper schon außergewöhnlich kompliziert.
Wer entscheidet denn über die Dirigenten in der Oper?
Das machen wir zusammen mit Birgit (der Intendantin) und mit dem Orchester. Und wenn das Orchester zufrieden ist mit einem Dirigenten, dann nehmen wir den natürlich gerne wieder.
Eine Frage zu Markus Stenz, Ihrem Vorgänger. Was ist von ihm und seinem Geist im Orchester geblieben?
Das kann ich nicht sagen, und das ist immer ein bisschen traurig und komisch unter den Dirigenten. Wir treffen uns nie, wir machen keine Kammermusik zusammen. Ich bin natürlich interessiert, mit vielen Kollegen zu arbeiten, aber ich kann nicht wirklich sagen, was von Stenz oder von dessen Vorgänger Conlon in diesem Orchester übriggeblieben ist.
Haben Sie denn regelmäßig Kontakt zu Ihrem Vorgänger Markus Stenz?
Nein, gar nicht. Wir hatten eine sehr schöne und nette Übergabe zum Übergang, haben uns getroffen und ausgetauscht. Stenz hat hier seine Zeit absolviert mit sehr viel Erfolg, ich höre seine CDs und bin begeistert, was er gemacht hat. Ich beginne jetzt hier etwas, das ist kein Wettbewerb, das ist einfach eine andere Phase. Stenz hat viel zustande gebracht mit dem Orchester, und ich hoffe, ich bringe etwas anderes. Und das hat nur etwas zu tun mit der Persönlichkeit.
Sie rufen ihn also nicht an mit Fragen zum Orchester oder Umfeld?
Nein, und das ist auch gut so. Nach diesen vielen Jahren kennt er das Orchester und alle Musiker sehr gut. Aber ich habe eine Neutralität (lacht), und ich kann mit dem Kopf die Probleme auf meine Art lösen. Das ist ein Vorteil für mich.
Wie schlimm ist es für Sie, in der Ersatzspielstätte „Staatenhaus“ dirigieren zu müssen? Oder kann man das ertragen?
Ich sehe die Situation natürlich nicht als ideal an, das ist ganz klar. Es ist einfach unbequem. Aber es gibt auch Vorteile in dieser Situation. Das ganze Team, Musiker, Technik, Sänger, wir gehen ganz zurück an den Anfang, in Französisch sagt man: „Le planche et les très tôt“, und fragen uns: Warum machen wir Oper? Wie ist das Spektakel? Wie ist die Vorstellung, was ist die Wurzel dafür? Warum machen wir das alles? Das ist ganz schön für beide, die Künstler und das Publikum. Sie sind plötzlich nicht mehr in einem angenehmen Theater, sondern in einem neutralen Ort, wo wir über alles nochmal nachdenken sollen. Das ist denke ich sehr hilfreich für die Frage, wie wir unsere Kunst machen.
Die Oper ist ja trotz der schwierigen Verhältnisse mit den Zuschauerzahlen ja recht zufrieden.
Klar, ich denke, unser Publikum ist auch mit der Qualität sehr zufrieden, es kommen ja viele ins Staatenhaus. Wir können dort auch andere Formen bringen, wirklich etwas Neues vorschlagen.
Das Ansehen der Stadt Köln lebt ja sehr durch die hier gebotene Kultur, speziell auch durch die Musik. Hat die Präsentation des Orchesters im Internet diesen Effekt noch verstärkt? Wie häufig werden die Konzerte in Internet angesehen?
Die Klicks auf die Seiten wachsen erheblich. Aber noch wichtiger ist, dass die Internetseiten eine Schaufenster für die Kölner Musik sind.
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