trailer: Herr Kipker, ein Mitarbeiter im Möbelhaus läuft hinter uns her, fotografiert uns, verfolgt, wo wir verweilen, was wir wo anfassen oder mitnehmen. Im analogen Leben ließen wir uns das nicht gefallen, digital aber schon. Warum?
Dennis Kipker: Die Hemmschwelle ist im Digitalen deutlich niedriger. Es gibt genügend digitale Angebote, die es geradezu erfordern durch Netzwerke im privaten wie im beruflichen Bereich, dass man sich mit Fotos zeigt. Wenn ich ein Bild im Internet veröffentliche, dann tue ich das, weil ich vorher eine Entscheidung getroffen habe. Schaut mich dort jemand an, kann man es nicht direkt spüren. Wenn mir jemand allerdings in einem Möbelhaus hinterherläuft, guckt, wofür ich mich interessiere, was ich kaufe, dann wäre das eine physische Anwesenheit, die man spüren würde. Es fehlt online die nötige Skepsis und auch das Kriterium der Spürbarkeit.
Einkaufen, Telefonieren, Unterhaltung. Wie sieht der durchschnittliche Konsum eines Menschen aus?
Es wird letztlich immer mehr. Online-Angebote nehmen rasant zu und sind immer öfter mit der Erfassung personenbezogener Daten durchdrungen. Die meisten Leute erfassen Datenschutzerklärungen nicht bewusst und nehmen sie einfach an. Vor 15 Jahren war Online-Shopping bloß ein Trend. Heutzutage gehen die meisten Leute schon gar nicht mehr physisch einkaufen, bemerkbar an immer weniger Einzelhandel und verwaisten Innenstädten. Durch die Corona-Pandemie verschärft sich dieser Zustand bis hin zu einer Art erzwungener Digitalisierung. Wir gehen weniger raus und nehmen eine gewisse Dauerkonsumentenhaltung an. Ein Produkt oder eine Dienstleistung wird heruntergeladen, man macht ein paar Klicks oder Voice-Commands und bekommt dann alles nach Hause geliefert – angefangen bei der Bettwäsche über die Lebensmittel bis hin zu digitalen Medien, Musik und Filmen. Ich glaube, dass sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren noch einmal deutlich weiterentwickelt.
„Der Verbraucher weiß nicht, wer sich das Schlafzimmer in irgendeinem Staat auf der Welt ansieht“
Amazons Sprachassistent Alexa führte bereits zu Datenlecks. Überwiegt hier noch der Nutzen?
Bei Sprachassistenten, also KI-gesteuerten Anwendungen, muss man sich generell überlegen, wo darin der große Nutzen zur Zeit liegt. Wenn man sich einmal vor Augen führt, was so ein Gerät eigentlich kann: Musik abspielen, sie lauter und leiser regeln, die Heizung steuern, Rollläden rauf und runter fahren und das Bild von der Haustürkamera auf den Fernseher schalten. In meinen Augen sind das jedoch keine Funktionen, die mich in meinem Komfortbereich voran bringen. Alternativ gibt es klassische Fernbedienungen oder wie wäre es, einfach mal aufzustehen? Die Technologie ist zum Einen noch nicht weit genug entwickelt. Zum Anderen werden diese Produkte als physische Einheit unter Preis verkauft. Wenn man sich einen Echo Dot ins Haus stellt, dann kostet er weniger als die tatsächlichen Herstellungs- und Entwicklungskosten, weil die Firmen sie im Haus haben wollen, damit die Leute sie entsprechend nutzen. Das ist ein bisschen wie bei den Pad-Kaffeemaschinen. Als Konsument muss man aufpassen, nicht der Erwartungshaltung zu erliegen, alles immer online und über Abos konsumieren zu können. In der Folge führt es dazu, dass mehr Dienste abgeschlossen werden, die das Leben augenscheinlich komfortabler machen. Gleichzeitig werde ich als Verbraucher aber immer abhängiger von diesen Diensten. Unter Verbrauchergesichtspunkten betrachtet, ist da ein gewisses Potenzial für eine Schuldenfalle. Denn am Ende kommt es nur noch darauf an, dass ich im Monat genug Geld reinkriege, um die ganzen Dienste überhaupt finanzieren zu können. Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Aufklärung von Verbrauchern, ist, dass viele Anbieter von Produkten aus dem Bereich Internet of Things (IoT) aus dem Ausland kommen. Ein Beispiel sind Smart-Home-Camera-Systeme, die die Sicherheit des Hauses überwachen. Alles funktioniert ganz bequem: Man kauft eine Kamera, installiert eine App auf dem Handy, macht sie irgendwo fest, steckt den Stecker rein und schon ist das Haus überwacht. Was Sie nicht sehen, ist die Technik, die sich dahinter abspielt. Die Daten werden vielleicht ins Ausland übermittelt und dort auf Servern gespeichert. Und der Verbraucher weiß nicht, wer sich seinen Hausflur, das Schlafzimmer oder das Wohnzimmer in irgendeinem Staat auf der Welt ansieht. Es geht nicht mehr nur darum, dass ich mir ein Produkt kaufe, dass mir einen gewissen Komfort bietet, sondern auch um die Konsequenzen, die damit verbunden sind.
Bislang sind Nutzer:innen gefordert, zu überprüfen, wie die Daten genutzt werden. Wäre eine übergeordnete Instanz sinnvoll?
Die Datenschutzaufsichtsbehörden und Verbrauchervereinigungen kümmern sich grundsätzlich darum. Faktisch ist es aber so, dass der Verbraucher damit ein bisschen allein gelassen wird, gerade bei der Frage, welche Datenschutzbehörde überhaupt zuständig ist, wie man seine datenschutzrechtlichen Betroffenenrechte – auch gegenüber Firmen und Behörden – geltend macht und welche Datenschutzrechte ihm überhaupt zustehen. Die Lage ist mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) seit 2018 deutlich besser geworden, aber es ist immer noch schwierig. Die Schufa ist ein gutes Beispiel: Das ist die Datensammeleinrichtung schlechthin. Sie müssen natürlich kostenlose Datenauskünfte für die Daten von den Verbrauchern ermöglichen, die bei ihnen gespeichert sind. Dieses Angebot ist dann auf der Website aber so versteckt, dass man es kaum findet und erst einmal auf die kostenpflichtigen Angebote aufmerksam wird. Was das Thema Durchsetzung von Datenschutzrechten bei Unternehmen angeht, sind wir trotz DSGVO noch nicht am Ende angelangt. Da ist in meinen Augen noch einiges an Luft nach oben.
„Global Player, die mit einer ‚Friss-oder-stirb-Praxis‘ agieren“
Wenn ich bestimmte Zugriffe einer App nicht erteile, kann ich sie erst gar nicht nutzen. Gibt es Alternativen?
Es gibt tatsächlich ein Kopplungsverbot im datenschutzrechtlichen Sinne. Eine bestimmte Dienstleistung darf nicht an eine datenschutzrechtliche Einwilligung geknüpft werden, wenn es eigentlich gar nicht erforderlich ist, dass diese Daten für diese Dienstleistung erhoben werden. Doch gerade beim Thema Social Media haben wir Global Player wie facebook oder instagram, die mit einer „Friss-oder-stirb“-Praxis agieren. Entweder akzeptiere ich diese Datenschutzbedingungen so, wie sie sind, oder ich bin nicht Bestandteil der digitalen Gesellschaft. Dahinter liegt auch ein enormer sozialer Druck. Bin ich nicht bei instagram, dann kann ich auch nicht zeigen, was ich so mache, mich mit den Leuten nicht vernetzen oder austauschen. Es wird immer mehr so wahrgenommen, als ob es das Einzige wäre, was uns ausmacht, um unsere persönliche Identität zu pflegen. Sich da zu entziehen, ist schwierig.
Dazu kommt, dass wir mehr und mehr von transnational agierenden Großkonzernen privat wie beruflich dominiert werden. Bestes Beispiel ist zoom, ein Programm, das seit dem ersten Lockdown im März 2020 einen erheblichen Aufschwung erfahren hat. Nach und nach wurde die Kritik laut, dass es dabei datensicherheitsrechtliche und datenschutzrechtliche Probleme gäbe, aber man konnte sich nicht wirklich zur Wehr setzen. Innerhalb der Debatte war durchaus eine Hilflosigkeit erkennbar, weil es im Wesentlichen nur diesen einen Service gab. Zoom hat zwar nachgelegt: Viele Aspekte, die seinerzeit moniert wurden, sind nachgebessert worden. Gleichwohl ist zoom ein US-amerikanisches Unternehmen und das US-Datenschutz-Niveau ist nicht mit dem Europäischen gleichzusetzen. Als Verbraucher muss mir also überlegen, wofür ich zoom nutze. Dient es Gesprächen, die in keiner Weise sensiblen Charakter haben oder nutze ich es, um sensible Daten zu übertragen? Datensicherheit und Datenschutz hin oder her, es war seinerzeit das beste Beispiel für ‚Take it or leave it‘.
„Man kann die Identität seines Kommunikationspartners nie wirklich nachprüfen“
Worauf sollten Eltern beim App-Konsum ihrer Kinder achten? Oder reicht es, regelmäßig das Konto zu befüllen?
Eltern sollten prüfen, ob die Apps, die auf den Smartphones installiert sind, auch der Altersgruppe entsprechen. Doch leider findet eine Altersüberprüfung durch die Dienstanbieter bei Minderjährigen oft nicht statt. Es beschränkt sich auf ein Dropdown-Menü, indem man das Geburtsjahr auswählt. Natürlich sollte auch darüber diskutiert werden, wie lange die App genutzt und mit wem eigentlich kommuniziert wird. Das Internet ist letztlich der beste Beweis dafür, dass jeder sich eine virtuelle Identität zulegen kann. Viele Leute geben sich dort, z. B. auf instagram, ganz anders als sie in der Realität eigentlich sind. Man kann die Identität seines Kommunikationspartners nie wirklich nachprüfen. In der Kommunikation mit Minderjährigen ist das ein ganz großes Problem, wenn Kommunikationspartner deutlich älter sind, sich aber als gleichaltrig ausgeben. Ein weiterer Punkt ist, wie lange das Kind das Smartphone nutzt. Ein Großteil der Wahrnehmung findet inzwischen rein über digitale Medien statt. Man lebt früher oder später in einer Filterblase: Bei facebook bekommt man den Newsfeed, Produkte und Werbung, KI-gesteuert generiert mit den Sachen, die einen vemeintlich interessieren. Das führt dazu, dass wir irgendwann ein nicht mehr ganz korrektes Weltbild haben, weil es nicht mehr unseres ist, sondern das eines Computers. Damit haben wir eine sehr eingeschränkte Wahrnehmung. Gerade also, wenn man sich in der Entwicklungsphase befindet, sollten Smartphone-Zeiten tatsächlich beschränkt werden, damit deutlich wird, Impulse von außen sind genauso wichtig. Ich glaube nicht, dass viele Eltern diese Kritikalität gegenüber der Dienstenutzung haben. Auf Zugfahrten sehe ich oft Mütter oder Väter, die die ganze Zeit auf ihr Smartphone schauen und dabei die Umgebung gar nicht mehr richtig wahrnehmen. Wir müssen uns der zunehmenden Digitalisierung, die ja nicht per se schlecht ist, bewusst sein und uns klar machen, mit wem wir Daten teilen.
„Man sollte immer misstrauisch sein, wenn irgendetwas kostenlos ist“
Bei der Fülle an Angeboten mit diversen Zugriffen, wozu raten Sie?
Bevor ich ein Programm installiere oder einen Service nutze, würde ich mir ganz genau überlegen ‚Brauche ich ihn wirklich?‘ und ‚Wo bringt er mich weiter?‘ Oder installiere ich ihn nur, weil alle ihn installieren, er gerade im Trend oder kostenlos ist? Ein besonders gutes Beispiel sind Taschenlampen-Apps. Was den Leuten gar nicht klar ist, viele dieser kostenlosen Apps haben auf das Adressbuch und auf Kontaktdaten Zugriff und das hat nichts mehr mit der eigentlichen Funktion zu tun. Man sollte immer misstrauisch sein, wenn irgendetwas kostenlos ist, denn dann ist es das eigentlich nicht. Geben Sie nur bei Google ein ‚iphone for free‘‚ da findet man sofort Einträge, unter denen das möglich ist. Es wird einem immer suggeriert, wir leben in einer Gesellschaft for free. Aber im Regelfall gibt niemand Werte umsonst weg. Das war früher nicht so und ist es heute auch nicht.
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