Gaming und Social Media ziehen v. a. junge Menschen in den Bann, doch süchtig kann jeder werden. Wer abhängig ist, vernachlässigt soziale Kontakte, Hobbies und Karriere. Als in den 50ern Fernseher immer beliebter wurden, berichtete die Presse von reizbaren, übermüdeten, einsamen Kindern. 70 Jahre später zeigen Studien, dass wir pro Monat etwa 86 Stunden online sind, 2617 Mal am Tag das Handy-Display berühren. Man geht von 100.000 Social-Media-süchtigen Jugendlichen allein in Deutschland aus.
Der Unterschied zur klassischen Medien- und Spielsucht ist die Zugänglichkeit des suchtfördernden Mediums, denn Smartphones mit Internetzugang sind stets zur Hand: „Die Häufigkeit ist ein Problem. Wir müssen immer mehr digital machen, je öfter ich ins Netz gehe desto größer ist die Gefahr, dass ich nicht mehr die alleinige Kontrolle habe“, so Christine Tertel von der Beratungsstelle für Drogenprobleme. Laut Tristan Harris (einst Google Produktmanager und Gründer der Initiative Time Well Spent) läuft dieser Kontrollverlust unbewusst ab, er spricht gar von einer „Massenhypnose“.
Games und Social Media funktionieren wie Glücksspiele
Feeds sind bewusst so gestaltet, dass man endlos lange scrollt, und die Zeit vergisst. Selbiges gilt für das Autoplay-Feature, das Videos in Endlosschleife abspielt. Da Smartphones uns unlimitiert mit Reizen überfluten, erfolgt auch eine unlimitierte Dopamin-Ausschüttung. Ein Algorythmus, der personalisierte Inhalte angezeigt, begünstigt dies. Nicht nur Spiele, auch scheinbar harmlose Meditationsapps rauben Zeit: „Eingebaute Belohnungssysteme haben einen suchtfördernden Charakter, v.a. die Welt des Gamings und des Glücksspiels verschmelzen miteinander“, so Tertel.
Time Well Spent fordert daher eine Reglementierung der Konzerne. Sonja Kliefken-Borowski von der Suchtberatungsstelle im Café Okay sieht das kritisch: „Konzerne zielen darauf ab, die Onlinenutzungszeit zu steigern. Man kann nicht auf eine Änderung hoffen, eine staatliche Reglementierung ist bei internationalen Unternehmen schwierig. So ist jede:r auf sich allein gestellt, aber es gibt technische Möglichkeiten der Selbstkontrolle, um die Nutzung einzuschränken.“ Tertel sieht Selbsthilfe-Apps nur als „unterstützende Maßnahme“. „Es braucht in der Regel Hilfe von Außen und kompetente Beratung“, so auch Kliefken-Borowski.
Zur Jugendsuchtberatung kommen laut Tertel mehr Jungs, „daher geht's meist um Gaming, oft auch Substanzkonsum. Studien zeigen: Frauen tendieren eher zu Social Media Sucht. Die ist unauffälliger, einzelne Interaktionen sind kürzer, auch wenn mehr Zeit vergeht als beim Zocken. Letzteres ist für Eltern viel alarmierender als Social Media.“
Interface Extended soll Kinder und Erwachsene sensibilisieren
In Einzelgesprächen geht es daher nicht nur um das Nutzerverhalten: „Wir fragen auch: Wie ist deine Lebensgeschichte? Was sind deine Fähigkeiten? Wir unterstützen, wenn es darum geht, sich wieder unter Leute zu wagen. Unsere Arbeit zielt nicht darauf ab, sich zwischen Konsum und Abstinenz entscheiden müssen, sondern auf einen gesünderen Umgang mit Onlinemedien“, erklärt Kliefken-Borowski. Denn dank Social Media und Games können auch neue Freundschaften entstehen: „Zocken wird von den Jugendlichen durchaus als soziale Interaktion gesehen. Online-Freunde sind Freunde.“
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