Schon zu Schulzeiten zog es die 1981 in Berlin geborene Nora Tschirner auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Vor zehn Jahren sah man sie dann zum ersten Mal auf der Leinwand. Serienrollen und eine Moderatorentätigkeit für MTV folgten. Mit „FC Venus“ und insbesondere „Keinohrhasen“ von und mit Til Schweiger wurde sie dann endgültig zum Star. Nach Rollen in „Mord ist mein Geschäft, Liebling“ und der Hit-Fortsetzung „Zweiohrküken“ spielt sie nun in „Bon Appétit“ die Sommelière Hanna, der in einem Züricher Nobelrestaurant der neue spanische Kollege schöne Augen macht.
trailer: Frau Tschirner, „Bon Appétit“ bewegt sich als Romantic Comedy in einem typischen Hollywood-Genre. Was können wir diesem denn hierzulande hinzufügen?
Nora Tschirner: Da muss ich widersprechen, denn obwohl der Film als Romantic Comedy vermarktet wird, ist er meiner Meinung nach keine. Nur weil ein Film romantisch ist und ein bisschen lustig, handelt es sich dabei noch nicht um eine romantische Komödie. Eine Romantic Comedy hat feste Genrestrukturen, die in Deutschland auch gerne einmal ignoriert werden. Außerdem haben es Filme, die „nur“ Unterhaltung sind, hierzulande oftmals sowieso schwierig. „Bon Appétit“ ist ein romantischer Film, der auch gar nichts anderes sein will. Auf das internationale Level einer Romantic Comedy kann man erst dann kommen, wenn man das Genre als solches ernst nimmt. In Deutschland schielt man bislang ausschließlich auf das Prestige und die Publikumszahlen solcher Filme, ohne ihre Regeln zu erkennen. „Keinohrhasen“ ist eine romantische Komödie, das liegt aber auch daran, dass Til Schweiger dieses Genre sehr schätzt und auch versteht, deswegen kann er so etwas mit Anika Decker zusammen auch schreiben.
Meiner Meinung nach fährt man hierzulande besser, wenn man mit den Genregesetzmäßigkeiten bricht und dadurch neue Elemente hinzukommen, anstatt die US-Vorbilder einfach kopieren zu wollen …
Warum sollte man dann aber nicht direkt sagen, es ist etwas ganz anderes? Es ist keine romantische Komödie mit Zusatzelementen, es ist einfach eine andere Art von Film. Ich finde es gefährlich, mit diesem Etikett zu spielen, weil deswegen Leute unter falschen Voraussetzungen ins Kino gehen und einen Film in der Art von „Keinohrhasen“ erwarten. Die sind vielleicht hinterher enttäuscht, weil sie kaum gelacht haben und glauben, das sei die „unlustigste romantische Komödie“, die sie je gesehen haben. Ich finde, dass das europäische Kino dem amerikanischen sehr viel hinzufügen kann. Bei „Bon Appétit“ gibt es eine melancholisch-leise Tonalität, die ich ganz toll finde, und sehr europäisch. Damit muss man sich keinesfalls verstecken.
Sie spielen eine Sommelière, wie gut kennen Sie sich denn selbst mit Wein aus?
Nicht gut (lacht). Ich bin kein Wein-Fan, fand das aber mal ganz interessant, in diese Welt hineinzuschnuppern. Aber ich habe davon eigentlich keine Ahnung.
Würden Sie denn Hannas Ansicht unterstreichen, dass 97% der Paarbeziehungen unglücklich sind?
Zur Präzision: Hanna sagt das in einem Streit und behauptet das, um ihr Gegenüber abzuwürgen. Ob das nun ihre Grundsatzüberzeugung ist, die sie da herauspoltert, das ist die Frage. Aber ich glaube schon, dass es nur eine sehr geringe Prozentzahl gibt an glücklichen Paarbeziehungen. Was nichts damit zu tun hat, dass so etwas nicht geht, sondern vielleicht eher damit, dass die Leute beim Suchen ein bisschen in Panik geraten.
Und dann das Erstbeste nehmen?
Vielleicht. Entweder, weil sie sich noch nicht gut genug kennen, um zu wissen, was gut für sie ist, oder dann irgendwann das Erstbeste nehmen und sich hinterher wundern, warum es nicht so richtig klappt. Aber ich kenne einige sehr tolle Paarbeziehungen, insofern glaube ich grundsätzlich schon daran.
Das Sprachengewirr am Set wurde vom Regisseur als besondere Dynamik des Films gedeutet. Haben Sie das auch so erlebt?
Mir gefällt es immer, Multi-Kulti zu drehen. In diesem Fall war es so, dass alle ans Set kamen und keiner wirklich wusste, was die anderen vorher gemacht hatten. Man kann das zwar googeln oder nachlesen, aber den Hype oder Nicht-Hype um eine Person kann man trotzdem nur schwer nachempfinden. Ich hatte mich vorher schon über Unax Ugaldes Arbeit informiert, aber man begegnet sich als relativ unbeschriebene Blätter. Das empfinde ich als sehr angenehm, auch grundsätzlich im Leben, aber vor allem beim Arbeiten. Hinzu kommt, dass ich Sprachen sehr mag, und je mehr unterschiedliche am Set geredet werden, desto mehr gibt es für mich dazuzulernen. Außerdem: Wenn mehrere Mentalitäten aufeinandertreffen, kann das einen Film beflügeln.
Wie hat denn der Film „Keinohrhasen“ Ihr Leben verändert? Werden Sie jetzt zunehmend auf der Straße erkannt?
Ja, auf jeden Fall. Ich hatte zwar vorher schon erfolgreich als Schauspielerin gearbeitet, aber die Veränderungen nach „Keinohrhasen“ hat man doch sehr deutlich gemerkt. Am Set ist man ziemlich isoliert, da äußert sich das nicht so deutlich. Aber wenn man zwischendurch mal wieder in den Alltag eintaucht oder irgendwelche Veranstaltungen besucht, kann man erkennen, dass es in der Zwischenzeit einen Popularitätsschub gegeben hat. Früher wurde ich von den Menschen als Nora Tschirner erkannt oder als Nora von MTV, nun sind viele dazugekommen, die mich als „die aus ‚Keinohrhasen’“ ansprechen.
Sie werden nächstes Jahr 30 – wie gehen Sie auf diesen neuen Lebensabschnitt zu?
Ich fühle mich derzeit sehr wohl mit der Vorstellung. Wenn ich nächstes Jahr an meinem 30. Geburtstag ein nervöses Wrack sein sollte, wird es einzig daran liegen, dass Leute mich mit dem Thema terrorisiert haben. Ich empfinde die allgemeine Panikmache diesbezüglich als relativ nervig. Ich weigere mich, dass mir irgendeiner dieses Alter madig macht! Ich habe keine Lust auf Altersparanoia, ich möchte noch nicht mal mehr 28 sein, geschweige denn 20. Ich weiß einfach, wie weit ich mittlerweile in meiner Menschwerdung gekommen bin, und auch, wie viel Arbeit das war, und dafür ist die neue Zahl vor der Null ein schönes Symbol.
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