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07.06.2003
Zugeben muss ich, dass ich mich doch schon sehr geärgert habe, über die negative Bewertung des Films durch "das phrunk". Jedem seine eigene Meinung, ich weiß. Doch ist es – nicht nur in diesem Falle – so, dass die vollständige Ablehnung des Films symptomatisch ist für eine, sich leider zunehmend verallgemeinernde Rezeptions- (besser: Konsumations-) Erwartung an Filme von Seiten vor allem des jüngeren Publikums; und ich vermute einfach, dass mein Vor-Rezensent zur jüngeren Generation gehört?! Diese Haltung, die sich nach dem Film dann in solchen Urteilen der Enttäuschung – wenn es denn mal eine Ent-Täuschung: eine Aufhebung der Selbsttäuschung und der vorurteils-behafteten Abwehr wäre! – niederschlägt, möchte ich versuchen, zu kritisieren. Ich beginne mit dem Naheliegendsten und zugleich (nur scheinbar) Unbegreiflichsten: Diesem Film mangelnde Spannung vorzuwerfen, ist nämlich so ungefähr das Fernliegendste, was sich denken läßt. Es ließe sich dazu ein längerer Essay verfassen, der rein immanent, nur über den akribischen analytischen Nachvollzug der durch Boyle souverän eingesetzten filmischen Mittel, die obige These hundertfach belegen könnte. Hier aber nur einige Stichpunkte:
Der Schnitt. Geradezu musikalische Rhythmisierung durch die der jeweiligen Sequenz/Szenenfolge absolut angemessene Abwechslung von rallentando und accelerando (langsame, ruhige Szenen versus entfesseltem Schnitt); ein Füllhorn von un-gewöhnlichen Kameraperspektiven, Bildausschnitten, Fahrten, Blickwechseln und Anschlüssen, die eine zeitgemäße Ästhetik schaffen und zugleich die Emotion des Erlebens strukturieren; eine ans Geniale grenzende Farbdramaturgie, die den steri-len Pseudo-Perfektionismus der künstlichen Hollywood-Welten Lichtjahre hinter sich läßt; eine, trotz aller momenthaft expliziten Gewaltszenen, weitestgehende Befolgung der Grundregel des Suspense (Hitchcock: kennt den noch jemand?), dass das nicht im Bild Gezeigte, sondern das nur Angedeutete oder momenthaft Aufblitzende sich viel wirkungsvoller in der Phantasietätigkeit des Zuschauers entfalten kann/könnte, als ein stumpfes Draufhalten (diese Regel scheint aber dank zig Jahrzehnten Dauerbombardement mit Hollywoods Klischee-Hochglanzästhetik außer Kraft gesetzt zu sein; durch dieses gibt es eben (fast) nur noch phantasielose Zombies/Gewaltjunkies, denen alles vorverdaut geliefert werden muss, damit sie es überhaupt noch verstehen können); ein musikalischer Score, der in seiner Vielseitigkeit nur als wunderbar zu bezeichnen ist: der Wechsel von geistlichem Gesang, hart das Geschehen vorantreibenden Bässen und einer Stille, die das Grauen umso wirkungsvoller akzentuiert; hervorragende, intensive und natürlich agierende Schauspieler und und und ... Fazit: Hier liegt offensichtlich, und für jeden, der noch zu sehen und zu hören überhaupt imstande ist, ein kleines (low budget!), ehrliches und in seiner Ästhetik und der Durchführung der genretypischen Thematik beispielhaftes Meisterwerk vor, welches zusätzlich noch den Vorzug hat, in seiner medialen Selbstreflexion einen heutzutage selten gewordenen Grad an Transparenz zu erreichen: alles nämlich, was die Gewalt des Zeigens und die gezeigte Gewalt betrifft.
Woher dann diese Langeweile, dieser Frust, diese Ablehnung? – Nun, das eben Gesagte erneut aufnehmend, möchte ich die These wagen, dass es zwei grundlegend verschiedene Arten gibt, Gewalt (im Film) zu zeigen und dieselbe als Zuschauer auf-zunehmen; und damit ist zugleich auch das Kernthema des Films benannt. Eine, die eine gefahr- – und leider zunehmend nicht folgenlose – Art, sie zu konsumieren, begünstigt (fast immer: Hollywood), indem nämlich über ihre materialen (gesellschaftlichen) Konstitutionsbedingungen und ihre realen Folgen nichts erfahrbar gemacht wird; beides wird im Gegenteil verunbewußtet und damit beispielhaftes Modell (Tod und Schmerz bleiben – metaphorisch gesprochen – im Raum hinter der Leinwand, im Off, verborgen). Und andererseits eine Art, die, soweit es die gewalthafte Immanenz der medialen Präsentation überhaupt zuläßt, eben beides offenlegt, nicht verschließt. Zur letzten Kategorie gehört m.E. dieser Film – ich erspare aus Platzgründen, dies näher auszuführen –, und z.B. auch ein solches Werk wie Funny Games von Michael Hanecke. Mein Vorrezensent ist also so frustriert und sauer auf den Film, dies meine Vermutung, da er die erwarteten knapp zwei Stunden repressiver ersatzhafter Gewaltfreigabe nicht durchleben durfte. Für ihn ist ein gelungener (spannender) Kinofilm wahrscheinlich identisch mit der durch die Bilderfolge angebotenen Möglichkeit bewußtloser Konsumation brutaler, möglichst explizit gezeigter Gewalt. Durch diesen Film wurde ihm etwas abverlangt, von dem er nichts wissen will. Dabei fühlt er sich, so ist das immer bei Abwehrphänomenen, unendlich gerechtfertigt: die streckenweise durchbrechende Fäkalsprache zeigt dies auf’s Schönste, ebenso wie die gehäuft auftretenden, durch nichts motivierten abwertenden Ausdrücke und die mangelhafte Durcharbeitung des sprachlichen Ausdrucks: das Denken ist eben zugunsten des hassenden Ressentiments desjenigen ausgeschaltet, der nicht das bekommen hat, auf das er ein Recht zu haben vermeint: das der Film ihn nämlich darin unterstützt, symbolisch-emotional „die Sau rauszulassen“. Er will nichts davon wissen, wie man/er seine eigene Negativität im Anderen erfahren könnte – und dies ist das ei-gentliche Kriterium des Humanen, was nicht nur im Film „den Bach runtergeht“ –, und er will auch nicht genauer wissen, was mit den Menschen geschieht, wenn diese stets prekäre Dialektik einmal ausser Kraft gesetzt ist; m.a.W., wenn genau die Zustände der Barbarei eintreten, die der Film allegorisch in Bezug auf unsere gesell-schaftlichen Umgangsformen (schon jetzt!) zum Thema nimmt und reflektiert (die problematische, individualistische Erlösungsphantasie am Ende steht auf einem anderen Blatt). Ich möchte lieber nicht genauer wissen, für welche Handlungsweisen dieser Rezensent in einer vergleichbaren, realen Extremsituation optieren würde. Mein Rat zum Schluss: Zur vorläufigen Beruhigung noch mehr konzentrierte Verabreichung von synthetischer Gewaltpornographie aus Übersee, bis die Augen und Ohren (und der Verstand) derart zugemüllt sind, dass man gar nichts mehr weiß und wissen will über die Welt und warum es darinnen so etwas Unschönes wie Gewalt gibt. Dann erst ist der ideal-hypnotisierte Zustand erreicht, in dem alles möglich ist, nur nicht das Richtige und Menschliche.
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