Es gibt 12 Beiträge von Tancredi
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01.08.2015
H.G. Wells veröffentlichte 1896 einen kurzen Roman mit dem Titel "The Island of Dr. Moreau". Edward Prendick, der Ich-Erzähler, erleidet Schiffbruch und wird auf eine namenlose Vulkaninsel verschlagen. Dort führen der Chirurg Dr. Moreau und sein Assistent grausame Tierversuche durch. Mithilfe fortgeschrittener Operationstechnik setzt Dr. Moreau aus verschiedenen Tieren neue Wesen zusammen, die aufrecht gehen und sprechen können. Durch Erziehung sollen sie "vermenschlicht" werden.
Im Film reisen die Brüder Gabriel und Elias auf eine abgelegene dänische Insel, um nach ihrem Vater, Emilio Thanatos (grch. für Tod) zu suchen. Der war einst ein berühmter Biologe, bis er aus der wissenschaftlichen Community ausgestoßen wurde. In einem stillgelegten Sanatorium finden die beiden zunächst drei weitere Brüder, Gregor, Josef und Franz (Anspielung auf Kafka ?!) und später auch ihren Vater, der aber bereits tot ist und vermodert im Bett liegt.
Im Verlauf des Film wird das dunkle Familiengeheimnis gelüftet: Um seiner eigenen Zeugungsunfähigkeit abzuhelfen, hat Thanatos seinem Samen die Gene verschiedener Tiere beigemischt. Das Experiment gelang (fünf Söhne), wenn auch die "Leihmütter" bei der Geburt jeweils starben. So trägt jeder der Brüder Tiergene in sich, und so erklären sich auch ihre ausgeprägten Ticks. Gabriel, der Eulenmensch und zivilisierteste der fünf, versucht seine Brüder zu mehr Sauberkeit und aggressionsärmerem Verhalten zu erziehen.
Man kann das Sanatorium als eine Miniaturausgabe der menschlichen Gesellschaft ansehen (schließlich entdeckte Darwin unsere tierischen Vorfahren) und die Erziehung der Brüder als Kurzfassung des Zivilisationsprozesses. Das macht den Film, bei aller augenscheinlichen Komik, zu einem abgründigen Blick in den Spiegel. Am Ende der Geschichte finden die Brüder sogar Frauen (aus dem Altersheim) und haben Kinder mit ihnen (vielleicht mit Hilfe der wissenschaftlichen Entdeckungen ihres Vaters?)
Ist der Film nun ein Plädoyer für das Lebensrecht einer jeden Kreatur? Oder der schräge Blick auf die Menschheit als eine Ansammlung von Freaks? Was hat er uns über Reproduktionsmedizin zu sagen? Der Zuschauer entscheide selbst.
Edward Prendick jedenfalls, nach seiner Flucht von der Insel und Rückkehr nach England, traut seinen zivilisierten Landsleuten nicht mehr so recht und zieht sich in ein Landhaus zurück. Dort schöpft er Trost aus der Betrachtung der unbelebten Natur.
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07.06.2014
Der Film lässt verschiedene Interpretationen zu - hier mein Versuch:
In der Literatur der deutschen Romantik deutet das Motiv des Doppelgängers auf eine Ich-Spaltung hin. Der Doppelgänger ist Träger jener Eigenschaften und verbotenen Wünsche, die das Individuum sich nicht einzugestehen wagt. Wir können Adam und Anthony (gespielt von Jake Gyllenhaal, einem der Cowboys aus "Brokeback Mountain") als zwei verschiedene Menschen auffassen oder als die Verkörperungen der divergierenden Neigungen ein und derselben Person. Die Gesellschaft, hier vertreten durch Adams Mutter, hat ein Interesse daran, das Individuum auf eine Rolle festzulegen. Sie hält es im Netz eindeutiger Zuordnungen gefangen und wird im Film durch die Spinne symbolisiert.
Die beiden Frauen von Adam und Anthony, Mary und Helen, reagieren unterschiedlich auf den Rollentausch ihrer Partner. Helen lässt sich auf ein zweideutiges Spiel mit Adam ein (hat sie ihn durchschaut oder nicht?). Mary dagegen wird wütend, als sie den Betrug bemerkt. Daduch verursacht sie ihren und Anthonys Unfalltod. Ist das nun die "Strafe" für Anthonys Betrug oder für Marys Wunsch nach Eindeutigkeit?
Wie der Film sind auch die meisten Menschen nicht festzulegen. Sie können mehrere Rollen spielen.
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16.06.2012
Ein gut konstruierter Film: Das Thema der Liebe wird von den beiden Jugendlichen, Sam und Suzy, aber auch von den Erwachsenen und von Francoise Hardy in Suzys Lieblingsschlager "Le temps de l'amour" aufgenommen und variiert. Damit gleicht der Film im Aufbau einer weiteren Lieblinsmusik von Suzy: dem "Young Person's Guide to the Orchestra" von Benjamin Britten. Darin wird ein Thema von Henry Purcell in 13 Variationen durch verschiedene Instrumentengruppen geführt.
In ihren Handlungen erscheinen die Personen des Films immer etwas künstlich, so als spielten sie eine selbst gewählte oder von außen zugewiesene Rolle. Die Gefühle aber wirken echt: die Zuneigung zwischen Sam und Suzy, die Fürsorge Captain Sharps für Sam. Das macht den Film, bei aller Konstruiertheit, warmherzig und versöhnlich wie den Brittenschen "Guide", der am Ende noch einmal das Originalthema von Purcell aufklingen lässt.
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04.01.2011
In der letzten Einstellung des Films werden die drei Protagonisten im Bett liegend mit einer Petrischale überblendet. Ich deute das so: Für den Regisseur und Drehbuchautor sind die Personen Versuchsobjekte, die er in einer von ihm gewählten Konstellation beobachtet. Der Film ist dann sozusagen das Protokoll des Versuchsablaufs.
Bezogen auf eine andere Kunstform, den Roman, ist das der Ansatz des Naturalismus, den Emile Zola Ende des 19. Jahrhunderts quasi im Alleingang begründet hat. Weitere Zutat war eine gehörige Portion Determinismus, nämlich die Vorstellung, dass der Mensch durch seine Abstammung, sein Millieu und seine Triebe weitgehend bestimmt sei und kaum noch Handlungsfreiheit besitze. Diese Theorie ist nicht frei von Widersprüchen, denn es ist ja der Autor, der den Handlungsablauf bestimmt, nicht die Natur.
Tykwers Film zeigt starke naturalistische Tendenzen in der Wahl der dargestellten Themen. Da gibt es z. B. eine Hodenoperation oder plastifizierte Leichen zu besichtigen. Aber er geht über den Naturalismus und seine Beschränkungen hinaus, indem er dem Zuschauer die "message" (einmal sogar als SMS) zukommen lässt, es gelte, das deterministische Biologieverständnis abzulegen. Ob Simon bei seinem Übergang von der Hetero- zur Bisexualität menschliche Freiheit beweist oder doch eher seinem Trieb erliegt, ist die offene Frage.
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25.09.2009
"Sind Sie durch Brecht beeinflusst?", fragt Schauspielerin Bettina Moll (Corinna Harfouch) ihren Kollegen Arno Runge (Markus Hering), der aus Neufünfland stammt. "Sind wir doch alle", antwortet der und leiht damit Regisseur Andreas Dresen seine Stimme, der sein Regiestudium tatsächlich in der DDR absolviert hat.
Der Film zeigt die Dreharbeiten zu einem anderen Film. Dadurch, dass die (gespielten) Schauspieler unmittelbar im Anschluss an den Dreh oder auch währenddessen die Szene kommentieren, entsteht so etwas wie Distanz zum Erzählten. Das Transparent mit der Aufschrift "Arschloch" (ein Textstück, das Hauptdarsteller Otto alias Henry Hübchen nicht vergessen soll) wirkt wie die Parodie eines Brechtschen Spruchbands.
Sehr gelungen ist auch die Umsetzung des Ossi-Wessi-Konflikts. Otto fährt - verspätet - mit seinem dicken Benz am Drehort vor und macht Ersatzdarsteller Arno unmissverständlich klar, dass mit ihm, Otto, zuerst gedreht werden müsse. Arno bekommt seinen Arbeitsvertrag, der mehr einer Rechnung gleicht, erst am Ende der Dreharbeiten. Geschieht den Ossis recht - sie wollten ja unbedingt die Vereinigung.
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04.09.2009
"Der Bursche ist eine Katastrophe; das ist kein Grund, ihn als Charakter und Schicksal nicht interessant zu finden", so schrieb Thomas Mann 1939 über Hitler, und erkannte an ihm Charakterzüge, die ihm als Künstler nicht fremd waren.
"Inglourious Basterds" offenbart ein gewisses Interesse Tarantinos für Hitler und Goebbels, vielleicht sind mit dem Titel ja auch die beiden gemeint. Ansatzpunkte sind vorhanden: Hitler war ein begeisterter Kinogänger und Goebbels als Propagandaminister oberster Filmproduzent. In Tarantinos Film bricht er vor Freude in
Tränen aus, als Hitler "Stolz des Vaterlandes" als sein bestes Werk bezeichnet.
Die Gewalt in dem Nazimachwerk wird vergleichsweise simpel dargestellt: Der Scharfschütze schießt, und ein anderer Soldat fällt aus dem Fenster. Viel Blut ist nicht zu sehen. Hitler aber freut sich über jeden Treffer.
"Inglourious Basterds" geht da mit Messern und Baseballschlägern näher ran. Und wenn es auch überwiegend die "Richtigen" trifft, haben mich diese Szenen doch abgestoßen. Insofern konnte ich den Bereich der Gemeinsamkeiten mit dem "Bruder" nicht ausweiten.
Andererseits fand ich den Film (von Tarantino) spannend, die Handlung voller überraschender Wendungen und die schauspielerischen Leistungen, insbesondere die von Christoph Waltz als Oberst Landa, überzeugend. Meine Gefühle dem Film gegenüber sind gespalten.
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18.03.2009
Zu Beginn des Films sagt der katholische Priester in der Totenmesse für Walt Kowalskis Frau: "Der Tod ist bittersüß. Bitter wegen seines Schmerzes, süß wegen seiner Erlösung." Um Erlösung von der Schuld, die er im Koreakrieg auf sich geladen hat, geht es auch Walt. So liegt er gegen Ende des Films wie der Gekeuzigte auf der Straße. Sein Bluthusten deutete schon auf sein Opfer hin.
Durchgehend wird in dem Film das Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern geschildert, und hier kommt auch der Humor zu seinem Recht, denn Walt Kowalskis Ausdrucksweise ist alles andere als politisch korrekt. Dass er katholisch ist, liegt vielleicht nur daran, dass er aus Polen stammt.
Walts Werkzeugsammlung steht für seine Überzeugung, dass man etwas können muss, um etwas zu sein.
Insgesamt ein gelungener Film, die religiöse Thematik wirkt nicht aufdringlich.
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03.01.2009
Sylvie Testud hat in dem Film "La môme" ("La vie en rose") die (Neben-)Rolle der Mômone gespielt, und man wird beim Anschauen von "Bonjour Sagan" das Gefühl nicht los, dass sie nun auch einmal die Hauptrolle in der Filmbiographie einer Künstlerin übernehmen wollte. Die Ähnlichkeiten in der Darstellung der späten Sagan und der späten Piaf, die krumme Haltung und die Fahrigkeit, fallen sehr ins Auge.
Aber "Bonjour Sagan" langweilt in der zweiten Hälfte, da gibt es nur noch langsamen Verfall zu sehen. Im Gegensatz dazu hatte "La môme" immer wieder Gesangseinlagen zu bieten und konnte nicht nur einen Abstieg, sondern auch einen Aufstieg schildern. Bei Sagan war der Erfolg ja von Anfang an da.
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11.06.2008
Bei der ersten Leiche dachte ich noch, es handele sich um einen im Schulmilieu angesiedelten Krimi mit ironischen Seitenhieben auf ebendieses und die enge Kleinstadt. Aber die platten Dialoge ließen mich bald Böses ahnen, und richtig, der Film glitt ohne Motivation in blutigen Horror ab.
Überflüssig.
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21.03.2008
"Lost in Translation" vermittelte dem Zuschauer das Gefühl, die Regisseurin Sofia Coppola habe sich nicht genug auf die japanische Kultur eingelassen.
Das ist bei "Kirschblüten - Hanami" nicht der Fall. Dieser Film hat einen deutschen und einen japanischen Teil, die sorgfältig aufeinander bezogen sind:
Da gibt es die bayrischen Enten, denen die japanischen Schwäne entsprechen (und hier lassen "Lohengrin" und Schloss Neuschwanstein grüßen), die deutsche Ersatztochter Franzi und die japanische Yu. Rudi Angermeier sucht die Vereinigung mit seiner verstorbenen Frau Trudi (die Namen sind schon fast gleich), indem er an ihrer Stelle Butoh-Tanz erlernt. Hier zeigt sich, dass Doris Dörrie Japan nicht zufällig als Schauplatz des zweiten Teils gewählt hat: Die Darstellung von Frauen durch männliche Schauspieler hat in Japan eine lange Tradition.
Aber der Film ist nicht nur wohldurchdacht, er bietet auch eine Fülle treffender Alltagsbeobachtungen und schöne Bilder des Fudschijama. Das "kleine" Sprachproblem wird übrigens durch behelfsmäßiges Englisch und viele Gesten gelöst. Geht doch.
Äußerst sehenswert.
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