Am Morgen des 11. März unterbrach WDR 2 seine Sendung für eine kurze Eilmeldung. Ein schweres Erdbeben habe Japan erschüttert. Meldungen über Tote oder Verletzte gäbe es zunächst nicht. Seit diesem Tag ist die Welt nicht mehr, wie sie war. Beim Schreiben dieser Zeilen war noch nicht klar, wie viele Menschenleben das Beben, der Tsunami und die Reaktorkatastrophe von Fukushima letztlich kosten würden und ob die havarierenden Atomkraftwerke größere Landstriche als die in der ersten Woche eingerichteten Sperrzonen erheblich kontaminieren würden.
Als regional erscheinendes Monatsmagazin kann trailer nicht die Aktualität eines Live-Tickers im Internet oder einer abendlichen Sondersendung liefern. Sehr wohl jedoch sollen die LeserInnen dazu ermutigt werden, diese Welt nicht denjenigen zu überlassen, die in ihrem Fortschrittsglauben und ihrer Profitsucht den menschgemachten Teil dieser Katastrophe verursacht haben.
Lange vor dem Beben von Japan legten die Macherinnen des Internationalen Frauenfilmfestivals in Dortmund ihr diesjähriges Motto fest. „WAS TUN“ soll Frage und Antwort zugleich sein. Die Festivalfrauen beweisen mit dieser Themenwahl dabei fast prophetische Gaben. Ihr Programm, das mit vielen Aktionen zum aktiven Mitgestalten anregt, kann in Dortmund einen Rahmen bieten für Protest, Widerstand und konstruktive gesellschaftliche Teilhabe. Parkplätze in der Innenstadt werden zu einem Laboratorium für „sensorische Annehmlichkeiten“ umgewidmet. Zugeparkter öffentlicher Raum soll so durch Performance, Partizipation und Diskussion zurückerobert werden. Die Attac-Gründerin Jutta Sundermann hält einen Vortrag über Wut- und Mutbürgerinnen. Die Umwälzungen in der arabischen Welt werden verständlicher durch das Referat von Irit Neidhardt. „Vom nackten Schmachten und politischer Intervention“ erlaubt einen Einblick in die Ästhetik und Philosophie arabischer Videoclips. Das Beiprogramm des Festivals ist ambitioniert. Aber kann, abgesehen von den Aktivitäten des IFFF, die Welt durch den Feminismus überhaupt gerettet werden?
Empört sang John Lennon „Woman Is the Nigger of the World“
Empört sang schon im September 1972 John Lennon „Woman Is the Nigger of the World“ und kreierte so eine der ersten Hymnen der Frauenbewegung. Hat er, aus heutiger Perspektive gesehen, recht behalten? Hillary Clinton ist Vizepräsidentin der USA, Angela Merkel ist Bundeskanzlerin von Deutschland. Sogar Nordrhein-Westfalen wird seit knapp einem Jahr von zwei Frauen geführt. Sind also tatsächlich von Washington bis Berlin Frauen an der Macht? Mitnichten. Die Welt erscheint auch knapp 40 Jahre nach Lennons Protestsong geführt von alten Männern, die an den Hebeln der Macht den Planeten nicht gerade in eine rosige Zukunft lenken. 100 Jahre, nachdem zum ersten Mal der Internationale Frauentag begangen wurde, drei Monate nach den ersten Unruhen in den arabischen Ländern und drei Wochen nach den Katastrophen in Japan darf man sich auch die Frage stellen, ob uns durch mehr Frauen an der Macht eine bessere Zukunft bevorstünde.
In vielen gesellschaftlichen Bereichen, die einst als männliche Bollwerke galten, ob es die Politik oder der Fußball ist, die Polizei, die Armee oder das Bischofsamt, sind Frauen im Vormarsch. Nur ein Bereich verweigert sich bislang konsequent der Entwicklung. In den Chefetagen der führenden deutschen Unternehmen sind so gut wie keine Frauen anzutreffen. Eine Josephine Ackerfrau als Chefin der Deutschen Bank erscheint so undenkbar wie eine Päpstin. Wahrscheinlich ist das kein Zufall, fallen doch viele wichtige Entscheidungen über unsere Zukunft nicht im Parlament oder auf dem Fußballplatz, sondern an der Börse. Heftig wurde deshalb in den vergangenen Wochen über eine gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote in den Vorständen von DAX-Unternehmen gestritten. Sogar die Frauen innerhalb der CDU waren sich nicht einig. Selbstverständlich sind Länder, in denen mehr Frauen in führenden Positionen anzutreffen sind, nicht sofort paradiesische Orte. Aber ein auf WELT-ONLINE veröffentlichter Zahlenvergleich mag zu denken geben: Der Frauenanteil in Vorständen lag 2010 in Schweden bei 17 Prozent, in Deutschland bei nur zwei Prozent. Das entspricht dem Wert von Indien. Russland und China kamen auf je sechs Prozent.
Eine Josephine Ackerfrau als Chefin der Deutschen Bank erscheint so undenkbar wie eine Päpstin
Natürlich kann Frau und Mann sich nicht darauf verlassen, dass irgendwann einmal Frauen in Machtpositionen die Welt menschenfreundlicher gestalten. Gesellschaftliche Veränderung, dass weiß besonders die Frauenbewegung, kann nur durch Protest und Widerstand erreicht werden. Einen Anfang macht das IFFF. Bei einem Stadtspaziergang werden selbstgebaute Samenbomben geworfen, damit die Bienen im Dortmunder Norden, die ihr Leben ja grundsätzlich feministisch organisieren, mehr Nahrung bekommen. Die Multimedia-Künstlerin Annemie Maes, die diese außergewöhnliche Exkursion anbietet, hat ein Motto kreiert, dass sich auch alle zukünftigen Finanzmagnatinnen und Energiekonzerncheffinnen zu Herzen nehmen können: „Time is Honey!“
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