Herr Käthe nennt er mich, mein Gatte Martin Luther, Herr Käthe! Als wäre das ein Kompliment. Ich bin halt gerne tüchtig, und weiß Gutes zu tun, den Groschen zu mehren – wenn mich das zum Manne macht, ist mein Martinus Luther eine Frau, denn er vergisst das Lieben und das Sorgen nicht, über all seinem Wirken in der Welt. Und zudem: Wenn wir alle nach dem Ebenbild Gottes geformt wurden, sind wir alle zugleich Mann und Frau, und ein jegliches dazwischen und drumherum, denn Gott muss ja alle Geschlechter in demselben Augenblicke sein, richtig?
Ketzerische Gedanken, wie es sich für eine entlaufende Nonne gehört. Aber dafür war ich ja mein Leben lang bekannt – Katharina von Bora, die kluge Frau. Nur dass von mir kaum eine Briefzeile erhalten ist. Es ist seine Geschichte, die bekannt ist, seine Briefe wurden sorgsam bewahrt. Seine Sprüche zu Tische, seine Disputatio, die Schreiben des ach so großen Magister Martinus: jeder kann sie lesen, die Worte des schnell zornigen, aber auch zärtlich neckenden Mannes. Von mir hingegen ist kaum ein persönliches Wort überliefert, weder mein Geburtsort noch die genaue Abstammung ist belastbar belegt. Ist das nicht herrlich? Jeder kann sich sein eigenes Bild machen von mir: Katharina von Bora, schön oder hässlich, aus reicher Familie stammend oder bettelarm, sinnliche Mönchshure oder xanthippischer Hausdrache. Ich werde neu mit jedem, der mich erfindet. Und am liebsten haben die Menschen Angst vor mir. Vor allem die Klerikalen. Und sogar mein eigener Mann in manchem Moment. Der erst recht.
Da steh ich mit meinen Körben voller Gerste und Hopfen und denke: Wovor man wirklich Angst haben muss, sind nicht starke Frauen, sei's im Hause, sei's in der Kirch'. Sondern vor schwachen Männern, die Stärke vortäuschen. Die alle um sich versammeln, welche nach Führung gieren. Solchen rennen sie tumb hinterher, den Pfaffen, den Blendern, den Gierigen. „Kein Irrtum ist so groß, der nicht seinen Zuhörer hat”, sagt mein Gatte, und wie recht er hat. Auch bei dem, was die Kirche uns Weibsvolk zugesteht – man weiß ja, dem Manne gebührt zwar das letzte Wort, aber die Frauen haben das Sagen. Doch lenken müssen wir immer noch im Verborgenen. Ob das genug Macht ist oder nicht? – Nur wer mit dem Maß eines weltlichen Herren misst, hält das Glück im Kleinen, das stille Glück nicht für wert.
Apropos klein – aus meinem Manne hat man nun ein Püppchen gemacht, das meistverkaufte Playmobil-Spielzeug des Jahres stellt ihn, den großen Martin Luther, zu nur 7,5 cm Höhe verkleinert dar. Mich jedoch wollte man nicht als Figürchen, mein armer Luther musste alleine bleiben. Nur einen Kühlschrankmagneten widmete man mir. Sei's drum. Was schert mich der Ruhm. „Der Wein ist stark, der König stärker, die Weiber noch stärker, aber die Wahrheit am allerstärksten” – so spricht der große Reformator Luther, mein Eheherr, und ich schweig stille. Denn ich erkenne meine eigene Weisheit in so vielen seiner Worte. Was macht's letztendlich, wer sie flüsterte, und wer sie laut sprach – dass in Liebe gesprochen wird, das zählt. Und nun? Nun ist's hohe Zeit, neues Bier anzusetzen.
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