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Gerald Kretzschmar
Foto: Universitätsarchiv Tübingen

„Im Urchristentum saßen Mann und Frau auf Augenhöhe am Tisch“

26. Oktober 2017

Der Theologe Gerald Kretzschmar über die theologische und soziale Entwicklung der Frauenordination – Thema 11/17 Frau Luther

trailer: Herr Kretzschmar, was spricht für oder gegen die Frauenordination?
Gerald Kretzschmar: Die Frauenordination ist tatsächlich lange Zeit ein kontroverses Thema gewesen und in bestimmten Kirchenkontexten bis heute ein Thema. Erfreulicherweise ist die Ordination von Frauen in Deutschland selbstverständlich geworden. Die Argumente dagegen, die in der Regel angeführt wurden und werden, sind meist biblisch begründet; also im Sinne eines wortwörtlichen Verständnisses biblischer Texte, die nahelegen, dass Frauen in der Ämterhierarchie der Kirche den Männern untergeordnet sind. Prominentes Beispiel für eine Argumentation in die Richtung ist allein die Herausstellung der Tatsache, dass Jesus ein Mann war und eben keine Frau. Auch in anderen biblischen Schriften, die zu Zeiten entstanden sind, als die Kirche sich als Institution in der Gesellschaft gebildet hat, finden sich Verweise darauf, dass die Leitungspositionen in der Regel von Männern besetzt sind. Was übersehen wird, sind kleinere Textbelege in der Bibel, in denen durchaus auch Frauen genannt werden in Leitungspositionen. Die sind natürlich zahlenmäßig nicht so stark vertreten wie die anderen Positionen. Ein anderes Argument gegen die Frauenordination: Das Primat der Männer erklärt sich historisch auch durch ein anderes Gesellschaftsmodell, das zur Entstehungszeit der biblischen Schriften bestand. Das war einfach auch eine patriarchale Gesellschaft, die ganz auf die Männer fixiert war. Die Gegenargumente sind die, dass man sagt, die Gesellschaft hat sich gewandelt: Die Modernisierung mit den entsprechenden Prozessen der Gleichberechtigung von Männern und Frauen hat dazu geführt, dass eine Abwertung von Frauen in kirchlichen Ämtern nicht mehr akzeptabel ist. Man beruft sich da auch mit guten Gründen auf biblische Texte, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau stark machen. Das war im Urchristentum eine revolutionäre Seite, dass Männer und Frauen auf Augenhöhe am Tisch sitzen konnten, das war in der damaligen, antiken Gesellschaft so nicht üblich. Das war ein revolutionärer Zug, den das Christentum eingeführt hat, dass Reiche und sozial Höherstehende mit Sklaven an einem Tisch saßen, wenn sich christliche Gemeinschaften getroffen haben.

Warum hat sich die evangelische Kirche lange schwer getan hat mit der Frauenordination, trotz Luthers Idee vom „Priestertum aller Gläubigen“?
Aussagen wie „Priestertum aller Gläubigen“ sind keine soziologischen Aussagen in dem Sinne, dass alle Menschen als Priester fungieren können. Das ist eine theologische Aussage, in der es ausschließlich um das Verhältnis zwischen Gott und Mensch geht. „Priestertum aller Gläubigen“ im Sinne Luthers heißt: jeder Mensch – und da wirklich egal ob Mann oder Frau – steht in einer unmittelbaren Beziehung zu Gott, und da steht nichts dazwischen. Das ist eben die Abgrenzung bei Luther zum katholischen Verständnis, wo die Beziehung zwischen Gott und Mensch immer noch eine Zwischeninstitution aufzeigt, nämlich die Institution Kirche, vertreten durch die Priester, die an der Stelle eine Mittlerfunktion erfüllen. Diese Instanz fällt im reformatorischen Verständnis theologisch weg, so dass Luther dann sagen kann, im reformatorischen Sinne sind alle Menschen Priester, Männer wie Frauen, in Bezug auf diese Unmittelbarkeit der Gottesbeziehung. Das hat 440 Jahre keine Auswirkungen auf die ganz praktische Frage gehabt, dass Frauen eben auch tatsächlich von Amts wegen Pfarrerinnen werden können. Dieser Übertrag war so zunächst mal nicht möglich, der war auch gar nicht intendiert.

Könnte man sagen, dass die Männer der Urkirche die revolutionäre Idee im Keim erstickt haben, nach der Frauen und Männer gemeinsam an einem Tisch saßen?
Diese ersten christlichen Gemeinden im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus, die standen ja vor der Aufgabe, sich gesellschaftlich zu etablieren. Das bedeutete zweierlei: zum einen mussten sie gesellschaftlich vermitteln, was das Neue und auch Revolutionäre ist, was sie einbringen. Auf der anderen Seite mussten sie so vorgehen, dass sie ihr gesellschaftliches Umfeld nicht abhängen und eine Gegengesellschaft bilden, sondern dass sie Anschlußmöglichkeiten bieten. Zum Beispiel die Entscheidung, dass Gemeinden von Männern geleitet und repräsentiert werden; das ist ein Zugeständnis den damaligen allgemeingesellschaftlichen Gepflogenheiten entsprechend. Im Prinzip war das ein taktisches Vorgehen. Die christlichen Gemeinden haben auch viel von den ethischen Vorstellungen der antiken Gesellschaft übernommen. Die sogenannten Tugendkataloge, die es in den paulinischen Briefen gibt – „Was macht einen guten Christenmenschen aus?“ – die könnten auch aus der Stoa stammen oder von Cicero formuliert sein. Die sind ja nicht genuin christlich, sondern sinnvoll und gut im Zusammenleben von Menschen und um eine Gesellschaft zu regulieren, die sind letztendlich allgemeingültig.

Wieso sind heute Frauen und Männer in den einzelnen Landeskirchen Deutschlands so unterschiedlich stark vertreten in Führungspositionen?
Wie diese regionalen Unterschiede zustande kommen, könnte ich auch nur mutmaßen. Ausschließen kann ich aber theologische Gründe. Dazu gibt es auch neuere Forschungen zur Genderthematik im Pfarrberuf, die zeigen, dass wir grundsätzlich einen starken Zuwachs des Anteils haben an Frauen, die in den Pfarrberuf gehen. Das zeigt sich natürlich schon im Studium: Die Zahl der Studentinnen im Theologiestudium ist deutlich höher als die der Männer. Das schlägt sich mittlerweile auch in der Statistik in Bezug auf das Pfarramt nieder und in den letzten Jahren auch bei hohen Leitungspositionen. Was insgesamt den Aspekt der Gendergerechtigkeit betrifft, eine sehr erfreuliche Entwicklung, die von Synoden getragen und auch regelrecht forciert wird. Gerade wenn es auch darum geht, wen spricht man an auf Kandidaturen für Leitungsämter. Da wird, soweit ich das sehe, flächendeckend sehr darauf geachtet, dass auch Frauen ausreichend im Boot sind und die werden auch gewählt. Es haben natürlich auch neuere Forschungen gezeigt, dass ein relativ hoher Anteil von Frauen im Pfarramt Abstand nimmt von weiteren Karriereschritten innerhalb der Kirche. Das erfolgt aus den Gründen, die in anderen Bereichen auch anzutreffen sind; es hat viel mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun. Das sind gesellschaftliche Rahmenbedingungen: Paare stehen vor der Frage, wer den nächsten Karriereschritt geht. Das fällt oftmals zum Nachteil der Frau aus. Der Mann klettert meistens weiter auf der Karriereleiter und die Frau verbleibt oft auf der (Teilzeit-)Stelle. Viele Pfarrerinnen arbeiten als Teilzeitkraft, das ist ein Problem, aber das hat mit den allgemeingesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu tun. Die Kirchen selbst sind sehr darauf bedacht, familienfreundlich zu agieren.

Haben Sie den Eindruck, dass sich die Gemeindemitglieder durch eine Teilzeitstelle schlechter betreut fühlen?
Die kirchliche Struktur arbeitet an dieser Stelle mit Messzahlen. In allen Landeskirchen gibt es einen Schlüssel, der das Verhältnis zwischen Personalstelle und Mitgliederzahl, die von dieser Personalstelle betreut werden, regelt. Das schwankt von Landeskirche zu Landeskirche, aber es kommen auf eine Vollzeitpfarrstelle zwischen 1500 und 2500 Gemeindemitglieder, die von dieser 100%-Stelle betreut werden. Das heißt in der Alltagspraxis, dass die Landeskirchen nach wie vor bestrebt sind, den Kirchenmitgliedern eine verlässliche Betreuung und Begleitung zu ermöglichen. Wenn also eine Pfarrerin im Teildienst irgendwo ist, ist sie entsprechend ihres Dienstanteils, den sie hat, für eine niedrigere Anzahl an Gemeindemitgliedern zuständig. Der Betreuungsschlüssel bleibt immer gewährleistet. Eine andere Thematik ist die, weil das alles noch relativ frisch ist mit der Frauenordination, dass in strukturell schwachen Regionen doch überwiegend noch Pfarrer arbeiten. Da kam es in der Vergangenheit – ich hoffe, dass sich das flächendeckend verlaufen hat – zu skeptischen Reaktionen, wenn dann eine Frau auf die Pfarrstelle kam. Da gab es in den vergangenen Jahrzehnten durchaus Prozesse des Gewöhnens. Ich habe ja auch selbst zehn Jahre als Pfarrer auf dem Land gearbeitet und es gibt im Kollegenkreis die Erfahrung, dass bei der Neubesetzung von Pfarrstellen, die langjährig von einer Frau geleitet wurden, oftmals der Wunsch geäußert wurde: „Wir möchten wieder eine Frau.“ Da ist einfach viel in Bewegung gekommen.


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