Der 1967 in Detmold geborene Wotan Wilke Möhring entschied sich erst mit über 30 Jahren für eine Schauspielkarriere. Nach frühen Auftritten in „Bang Boom Bang“ und „Lammbock“ wurde er mit Filmen wie „Antikörper“, „Video Kings“ und „Männerherzen“ schnell zum Publikumsliebling. Neben Tom Cruise stand er in „Walküre“ vor der Kamera, auch in Christian Alvarts internationaler Produktion „Pandorum“ mit Dennis Quaid war er dabei. In „Das letzte Schweigen“ ist er nun als Timo Friedrich auf der Leinwand zu sehen, ein Pädophiler, der schmerzhaft an einen dunklen Fleck in seiner Vergangenheit erinnert wird.
trailer: Herr Möhring, es gibt nur sehr wenige deutsche Genrefilme, „Das letzte Schweigen“ ist eine der seltenen Ausnahmen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Wotan Wilke Möhring: Ich vermute mal, dass es daran liegt, dass in den entscheidenden Momenten nicht genügend Geld vorhanden war, um daraus internationale Erfolge zu machen. Die Filme sind dann einfach nicht so gut gelaufen. „Das letzte Schweigen“ ist ja auch wagemutig positioniert im Hochsommer, wenn alle in den Ferien sind. Ich glaube, dass man von Produzentenseite deutschen Genrefilmen nicht die richtigen Chancen gibt. Die kauft man lieber aus den USA ein – da kommt das Genre her, hätte ich fast gesagt. Die haben dort auch die besseren Mittel für solche Filme. Das neue Werk von Bruce Willis oder den neuen „Hannibal Lecter“-Film schauen sich eben alle an. Ich war nun schon in mehreren deutschen Genrefilmen dabei, z. B. in „Antikörper“, der im angelsächsischen Raum oder international viel besser gelaufen ist als in Deutschland. Das ist, glaube ich, so ein bisschen die Angst vor der eigenen Courage.
Sie selbst sind dem Genrefilm nicht abgeneigt…
Nein, überhaupt nicht. Aber ich drehe Filme in erster Linie wegen des Drehbuchs. Hier gab es sogar eine erfolgreiche Romanvorlage, „Das Schweigen“ von Jan Costin Wagner, der damit u.a. den Deutschen Krimipreis gewonnen hat. Der Stoff ist größer als ein Fernsehfilm und gehört unbedingt ins Kino. Das Thema der Pädophilie ist leider nach wie vor aktuell. Die Zuschauer gingen nach der Premiere auf dem Filmfest München verstört oder nachdenklich aus der Vorführung, was durchaus in unserem Interesse ist. Deswegen habe ich gerne an dem Film mitgewirkt.
Ihre Figur „Timo“ ist ein sehr verschlossener Charakter, den man als Zuschauer nicht so recht durchschauen kann. Wie legt man so eine Rolle darstellerisch an?
Ich habe hinsichtlich der Pädophilie gar keine Recherche gemacht im Sinne von Chat Rooms oder ähnlichem, denn das ist ja auch nicht Timos Welt. Dessen Welt ist die des einsamsten Menschen der Welt, und in die konnte ich mich als Schauspieler gut einfinden. Er leidet unter seiner Neigung vielleicht noch mehr als seine Umwelt. Mein Zugang zu der Rolle war, dass er nach außen bemüht ist, ein neues Leben anzufangen, aber nach innen total einsam ist und sich nicht mitteilen kann. Ich mag immer alle Charaktere, die ich spiele, und ich mochte auch Timo Friedrich, weil er mir so unendlich Leid tat. In dem Moment, in dem er nach vielen Jahren anzuerkennen lernt, dass ihn diese Neigung nie verlassen hat, ist es zu spät, und er muss mit der Konsequenz umgehen, die dabei übrig bleibt.
Der Film setzt mit einer Rückblende 1986 ein, zu einer Zeit, als Sie im wirklichen Leben gerade erwachsen geworden waren. Wie sehen Sie heute für sich im Rückblick die 80er Jahre?
Die 80er Jahre waren für mich das Zeitalter der Adoleszenz, der Übergang von meiner Punk-Jugend ins Erwachsenenalter. Damals war meine erste lange USA-Reise, damals war ich bei der Bundeswehr, da gab es eine ganze Menge großer Wechsel in meinem Leben. Ich machte mir Gedanken darüber, was ich mit meinem Leben anfangen will. Die Schulzeit war vorbei, es tat sich ein neues Kapitel für mich auf. In dieser hochspannenden Zeit hat es mich dann nach Berlin verschlagen. Dann kam die Wende, und ich stand in Berlin an der Mauer, als sie zusammenbrach. Das waren ganz tolle Jahre für mich. Musikalisch habe ich den Anfang der 80er Jahre gar nicht so in Erinnerung, weil ich damals nur Punk gehört habe und niemals Radio, deswegen erinnern mich nun diese ganzen Radiohits von damals an die Zeit, in der ich Punk gehört habe.
Hat sich in jener Zeit dann schon Ihr Wunsch gefestigt, Schauspieler zu werden?
Nein, überhaupt nicht. Das hat sich erst in den späten 90ern ergeben, denn ich hatte nie den Wunsch, Schauspieler zu werden. Ich habe immer alles ausprobiert, denn meiner Meinung nach muss man aus dem Bauch heraus entscheiden, was gut für einen ist und für wie lange. Ich habe zuerst noch studiert und viele andere Sachen gemacht, und bin dann bei der Schauspielerei gelandet. Jetzt ist es für mich die Erfüllung, aber ich bin einfach durchs Ausprobieren dazu gekommen.
Sie haben in den vergangenen zehn Jahren unglaubliche 80 Film- und Fernsehrollen übernommen, die unterschiedlichsten Charaktere gespielt. Was liegt Ihnen denn davon besonders am Herzen?
Das kann ich schwer beantworten. Es ist mit Sicherheit die sich daraus ergebende Abwechslung. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich bei dieser Arbeit bleibe, die mir mittlerweile auch zur Berufung geworden ist, weil ich dort all das austoben kann, was man im normalen Leben nicht so loswerden kann.
Sie sind im letzten Jahr Vater geworden, wie hat das Ihr Berufsleben verändert?
Ich möchte natürlich dabei sein, wie mich dieses Wunder jeden Tag aufs Neue anlacht. Davon möchte ich nichts verpassen, wie ich insgesamt nichts vom Leben verpassen will. Deswegen ist mir natürlich die Rollenauswahl noch wichtiger geworden, d.h. die Projekte, die weiter weg sind, müssen besser organisiert werden. Denn es gibt die Regel, dass ich nicht länger als ein paar Tage vom Kind weg sein möchte. Dann reisen die beiden entweder nach, oder ich reise wieder zurück. Die Organisation ist umfangreicher geworden, aber ich kann jedem da draußen nur empfehlen: Es lohnt sich!
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