Alles hat ein Ende, und der Aal macht, gleichwohl er optisch ein wenig an eine Wurst erinnert, keine Ausnahme. Auch er hat nur ein Ende, dafür aber vielleicht eins in naher Zukunft. Der sogenannte Glasaal-Rekrutierungs-Index für die Nordsee lag 2021 bei 0,6 Prozent. Das bedeutet, dass sich seit den 80er Jahren der Bestand an Aal-Jungtieren um 99,4 Prozent reduziert hat. Diese Zahlen sammelt der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) und berät anhand dieser die Europäische Union. Um den Fisch vorm Aussterben zu bewahren, hat die EU also festgestellt, wie wichtig es ist, „die Sterblichkeit beeinflussenden anthropogenen Faktoren, einschließlich gewerblicher Fischerei und Freizeitfischerei, auf null zu reduzieren oder möglichst nahe bei null zu halten“. Und hat daher 2019 eine Schonzeit festgelegt. Kein Fangverbot, sondern eine Schonzeit.
Der Blauleng ist ein Verwandter des Dorschs und tummelt sich mit seinem dicken Kopf und den großen Augen in den kalten Wassern des Atlantiks. Im Norden Europas schätzt man ihn auf dem Tisch. Vielleicht schätzt man ihn ein bisschen zu sehr, denn die Europäische Kommission stellt in einem aktuellen Dokument fest: „Der Bestand gilt als erschöpft, und es gibt keine Anzeichen einer Wiederauffüllung. Wissenschaftliche Gutachten empfehlen (…) eine Null-TAC [=Höchtsfangmenge, Anm. d. Red.].“ Keine Erholung der Bestände in Sicht, die Wissenschaft sagt: „Finger weg“. Also ist die einzig sinnvolle Maßnahme – genau: die Höchstfangmenge um 40 Prozent auf 174 Tonnen zu reduzieren! Noch vor 2015 forderte der ICES eine Höchstfangmenge von 10.000 Tonnen des Blauflossenthuns (der verwirrenderweise auch Roter Thunfisch heißt). Die EU hörte sich das Gutachten an – und legte 29.500 Tonnen TAC fest. Gefischt wurden schließlich 61.000 Tonnen!
Warum reite ich so lange auf diesen Fischen herum, obwohl sie – bis auf den bis zu 4,5 Meter langen Thunfisch – zu klein sind, um wenigstens potentiell beritten zu werden?
Weil sich an ihnen zeigen lässt, was alles schief läuft. Weil Zahlen nicht lügen. Wer zehn Fische hat und acht davon isst, hat schneller gar keine mehr, als er sich die Gräten aus den Zähnen pulen kann. Dennoch rechnet die Politik so.
Weil Fischbestände ganz unmittelbar von uns Menschen dezimiert werden. Und dennoch schränkt die Politik den Fischfang nicht ausreichend ein.
Weil der Fisch mit dem Konsum vieler von uns zusammenhängt. Selbst wenn ich ein Tigerfell besitzen wollte, könnte ich mir keins leisten. Der Fisch aber ist kein Opfer des menschlicher Luxussucht. Und dennoch steigt der Fischkonsum in Deutschland und weltweit.
Weil es zeigt, dass alles Wissen um die Bedrohung von Tierpopulationen und Ökosystemen nichts nützt, wenn die Politik dieses Wissen ignoriert.
Die alarmistischen Behauptungen vieler Aktivisten und Verbände seien oft übertrieben, stellt das Thünen-Institut für Ostseefischerei fest. Wo „maximal nachhaltig befischt“ werde, werde eben „optimal“ befischt. Das sei nicht mit Überfischung gleichzusetzen. Die Lage sei nicht gut, aber besser als viele glauben. Das hat dem Glattstör, der laut aktueller Roter Liste der gefährdeten Tierarten in Europa als ausgestorben gilt, auch nichts genützt.
UNARTIG - Aktiv im Thema
de-ipbes.de/de/Globales-IPBES-Assessment-zu-Biodiversitat-und-Okosystemleistungen-1934.html | Die deutsche IPBES-Koordinierungsstelle stellt den UN-Bericht zu Biodiversität und Ökosystemleistungen in unterschiedlichen Ausfertigungen zur Verfügung.
bmuv.de/themen/naturschutz-artenvielfalt/artenschutz/was-bedeutet-artenschutz | Das Bundesumweltministerium informiert über die rechtlichen Rahmen von Artenschutzmaßnahmen.
nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/ | Der Naturschutzbund Deutschland e.V. informiert über Naturschutz im (eigenen) Garten.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Feilschen statt regieren
Intro – Unartig
Just in my Backyard!
Naturbewahrung in der Wohlstandswelt – Teil 1: Leitartikel
„Die wohl größte Krise, vor der wir stehen“
Ökologe Klement Tockner über die Bedeutung der Artenvielfalt – Teil 1: Interview
Vielfalt am Tümpel
Die „Ökozelle“ des Naturschutz Hattingen – Teil 1: Lokale Initiativen
„Wir leisten uns falsche Repräsentanten“
Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht über mangelhaften Naturschutz – Teil 2: Interview
Nachschub für die Wildnis
Artenschutz im Kölner Zoo – Teil 2: Lokale Initiativen
Grün allein macht keinen Klimaschutz
Zwischen Wirtschafts-Lobbyismus und Klima-Aktivisten: Grüne Politik vor der Zerreißprobe – Teil 3: Leitartikel
„Dem Umweltministerium ein Vetorecht geben“
Meeresbiologe und Greenpeace-Aktivist Thilo Maack über Umweltschutzorganisationen – Teil 3: Interview
Aufmerksamkeit als Waffe
Wuppertals Ortsgruppe von Extinction Rebellion setzte auf starke Bilder – Teil 3: Lokale Initiativen
Neptungras for Future
Schutz von Seegraswiesen im Mittelmeer – Europa-Vorbild: Kroatien
Der unglaubliche Alk
Von einem Vogel, den es nie wieder geben wird – Glosse
Werben fürs Sterben
Teil 1: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
Es sind bloß Spiele
Teil 2: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
Das Spiel mit der Metapher
Teil 3: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
Europäische Verheißung
Teil 1: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Demokratischer Bettvorleger
Teil 2: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 3: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 1: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
Friede den Ozeanen
Teil 2: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Stimmen des Untergangs
Teil 3: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
Der andere Grusel
Teil 1: Leitartikel – Von der rätselhaften Faszination an True Crime
Zu Staatsfeinden erklärt
Teil 2: Leitartikel – Der Streit über Jugendgewalt ist rassistisch aufgeladen
Maßgeschneiderte Hilfe
Teil 3: Leitartikel – Gegen häusliche Gewalt braucht es mehr als politische Programme
Wildern oder auswildern
Teil 1: Leitartikel – Der Mensch und das Wildtier
Die Masse macht’s nicht mehr
Teil 2: Leitartikel – Tierhaltung zwischen Interessen und Idealen