trailer: Herr Tockner, 1992 fand in Rio de Janeiro die Weltumweltkonferenz statt. Worum ging es damals?
Klement Tockner: Es war die erste große globale Konferenz über Umwelt und Entwicklung – nach der Tagung in Stockholm 1972, der noch viele andere folgen sollten. In Rio de Janeiro ging es im Prinzip um grundlegende Umweltthemen, insbesondere um eine verantwortungsvolle und gerechte Nutzung unserernatürlichen Ressourcen. Ganz wesentliche Ergebnisse waren die Agenda 21, mit deren Unterzeichnung die Leitlinien für eine nachhaltige Entwicklung im 21. Jahrhundert festgeschrieben wurden, weiter die Klimarahmen- und Biodiversitätskonvention. Ernüchternd ist, dass sich gerade in Bezug auf letztere in den 30 Jahren leider fast nichts getan hat – der Rückgang der Arten schreitet ungebremst und teils sogar noch stärker voran.
Was sind die maßgeblichen Ursachen für das Artensterben?
Da wäre die Landwirtschaft, der größte Verursacher für den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt. Das liegt an dem enormen Flächenverbrauch für die Lebensmittelproduktion, aber auch am überbordenden Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln. Das Thema hängt natürlich sehr eng mit unserer Ernährung zusammen: So werden etwa 60 Prozent des Getreides in Deutschland an Nutztiere verfüttert, nur knapp 20 Prozent von uns gegessen und 17 Prozent „verbrannt“. Hinzu kommt, dass ein Drittel aller Nahrungsmittel weltweit verderben oder weggeworfen werden.
Neben der Landwirtschaft sind die Ausbreitung invasiver Arten, Übernutzung der natürlichen Ressourcen – etwa durch Überfischung und unkontrollierte Jagd – sowie in zunehmendem Maße die Erderwärmung grundlegende Bedrohungen für die Biodiversität. Wir kennen somit die Hebel, an denen man ansetzen muss, um den Verlust der biologischen Vielfalt zu bremsen: Vorrangig müssen wir die Lebensmittelproduktion optimieren, den Konsum massiv umgestalten und den Verlust an Nahrungsmitteln reduzieren. Das kommt sowohl der Biodiversität als auch dem Klima zugute – und somit unserem eigenen Wohlergehen.
„Klimawandel und Biodiversitätsverlust gehen Hand in Hand“
Was kann Politik für den Schutz der Biodiversität tun?
Vorrangig müssen wir die Politik noch mehr dafür sensibilisieren, vor welcher Krise wir hinsichtlich der Biodiversität stehen. Als Thema sehr präsent ist die Klimakrise, aber diese darf nicht isoliert betrachtet werden. Klimawandel und Biodiversitätsverlust – man spricht hier von einer Zwillingskrise – gehen Hand in Hand. So können sich Maßnahmen zur Energiegewinnung massiv auf die biologische Vielfalt auswirken. Wir erleben gerade einen globalen Boom im Ausbau der Wasserkraft. Dies ist zwar eine erneuerbare, aber keineswegs klimaneutrale oder gar umweltfreundliche Energiequelle. Weiter müssen wir dringend die Subventionspolitik ändern, damit öffentliche Gelder nicht in umweltschädigende Maßnahmen investiert werden. Und internationale Abkommen haben nur dann eine Wirkung, wenn es Möglichkeiten zur Durchsetzung der vereinbarten Ziele gibt – etwa durch Sanktionen oder durch den Ausschluss von Ländern aus einem Abkommen. Man kann und soll klare Anreizsysteme schaffen, um Maßnahmen zu unterstützen, die die Artenvielfalt schützen und fördern.
Was kann der einzelne Mensch gegen die Krise tun?
Jeder von uns kann und muss verantwortungsvoll mit den natürlichen Ressourcen umgehen. Landwirtschaft, Verkehr und Energie sind die größten Treiber für die Erosion unseres Naturkapitals – indem wir beispielsweise häufiger Rad fahren, weniger Fleisch essen und unsere Gebäude und Wohnungen energetisch ertüchtigen, können wir gegensteuern. In erster Linie ist aber die Politik gefordert, und sie darf die Verantwortung für die großen Herausforderungen der Menschheit nicht auf Einzelne abwälzen. Es braucht somit politischen Mut und großes gesellschaftliches Engagement – besonders auch von Seiten der Wirtschaft. Und Entscheidungen, die von so großer Bedeutung für unsere eigene Zukunft sind, müssen auf Basis des besten verfügbaren Wissens getroffen werden. Hierfür tragen Forschungseinrichtungen wie die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung federführend bei.
„Deutschland fördert jährlich mit 60 Milliarden Euro Steuermittel umweltschädliche Maßnahmen“
Ende des Jahres findet wieder eine Weltumweltkonferenz statt. Welche Ziele muss sie sich setzen?
Eine zentrale Forderung ist es, 30 Prozent der Land- und Meeresfläche langfristig unter Schutz zu stellen. Weiter muss der globale Norden mehr für die Anstrengungen des globalen Südens investieren. Die rund 60 Milliarden Euro Steuermittel jährlich, mit denen umweltschädliche Maßnahmen allein in Deutschland gefördert werden, gilt es umzuverteilen. Unser Konsumverhalten wirkt sich direkt auf die biologische Vielfalt im globalen Süden aus: Für Ölpalmen oder Sojabohnen werden großflächig tropische Regenwälder gerodet. Es muss uns klar sein, dass der Verlust der biologischen Vielfalt die wohl größte Krise ist, vor der wir stehen: Einmal verloren ist zumeist für immer verloren! Außerdem können wir nicht abschätzen, was es für die Natur und schlussendlich für uns Menschen bedeutet, wenn wir 10, 20 oder gar 50 Prozent dieser Vielfalt verlieren. Und wenn wir das nicht beurteilen können, dann müssen wir Vorsorge treffen, sie zu schützen. In dieser Vielfalt – sie umfasst die Vielfalt der Lebensformen, der Lebensräume wie auch die genetische Vielfalt – sind die Informationen und das Wissen von 3,5 Milliarden Jahren Evolution gespeichert. Sie lässt sich quasi als „globale Bibliothek der Natur“ verstehen, und die moderne Naturforschung ist in der Lage, diese Informationen zu „lesen“, das heißt sie verfügbar zu machen, auszuwerten und für die Lösung unserer Probleme zu nutzen. Um diesen Schatz zu bewahren, erfordert es nicht nur eine Verbesserung der aktuellen Situation, vielmehr müssen wir eine grundlegende Transformation unserer Lebensweisen wagen und schaffen. Wir dürfen unseren Planeten nicht weiter nur als Steinbruch und Abfalleimer verwenden. Das kann nicht mehr lange gut gehen. Im Verkehr etwa geht es nicht darum, auf Elektrofahrzeuge umzusteigen, sondern es braucht vielmehr völlig neue und alternative Mobilitätskonzepte, um die Klima- und Biodiversitätskrise eindämmen zu können. Je länger wir warten, desto schwieriger und teurer wird es, gegenzusteuern. Die Lasten und Kosten werden dann unsere Kinder und Enkelkinder zu tragen haben. Es kann nicht unser Ziel sein, das Anthropozän – das Zeitalter des Menschen – zur kürzesten Epoche der Erdgeschichte zu machen. Wir müssen uns also hier und heute gemeinsam diesen Herausforderungen stellen. Gerade Naturmuseen wie jene von Senckenberg in Frankfurt, Dresden und Görlitz stehen für den Dialog zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik, und sie sind hervorragend dafür geschaffen, solche Transformationen anzustoßen und zu begleiten.
UNARTIG - Aktiv im Thema
de-ipbes.de/de/Globales-IPBES-Assessment-zu-Biodiversitat-und-Okosystemleistungen-1934.html | Die deutsche IPBES-Koordinierungsstelle stellt den UN-Bericht zu Biodiversität und Ökosystemleistungen in unterschiedlichen Ausfertigungen zur Verfügung.
bmuv.de/themen/naturschutz-artenvielfalt/artenschutz/was-bedeutet-artenschutz | Das Bundesumweltministerium informiert über die rechtlichen Rahmen von Artenschutzmaßnahmen.
nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/ | Der Naturschutzbund Deutschland e.V. informiert über Naturschutz im (eigenen) Garten.
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