Es ist ein ungewohntes Bild bei einer Lesung von Max Goldt: Zahlreiche Plätze in den Kammerspielen sind noch frei. Ob dies am trüb-grauen Wochenbeginn liegt, an vorweihnachtlichen Konkurrenzveranstaltungen oder doch an einer zunehmenden Kauf-Zurückhaltung auch im kulturellen Bereich – wer vermag das schon zu sagen? Vielleicht ist auch der Abstand zu seiner letzten Bochumer Lesung zu kurz, weist Max Goldt doch direkt zu Beginn darauf hin, wie sehr er sich freut, nach nur eineinhalb Jahren wieder im Schauspielhaus zu Gast sein zu dürfen. Egal – das auf feine Wortkunst vorfreudig gestimmte Publikum soll auch an diesem Abend nicht enttäuscht werden.
In diesem Quartal schon beim Notar gewesen?
Max Goldt, dessen Titanic-Kolumnen „Aus Onkel Max‘ Kulturtagebuch“ in den 1990er Jahren Kultstatus besaßen, behauptet von sich, seit einigen Jahren an einer Schreibblockade zu leiden. Glücklicherweise bezieht sich das nicht auf die absurden Comics, die er gemeinsam mit dem Zeichner Stephan Katz als Künstlerduo Katz & Goldt veröffentlicht. Das neueste Material für die Lesung sind somit eigentlich Comic-Geschichten, die Goldt zu Sprech- bzw. Hörtexten umgeschrieben hat. So wird ein vierseitiger Strip zu einem Dramolett, das sich mit dem Leid und Neid von Notaren befasst, die für immer im Schatten von Zahnärzten stehen müssen (Eltern sagen zum Beispiel regelmäßig „Du musst mal zum Zahnarzt“, aber nie „Du musst mal wieder zum Notar“ …). Notare versuchen alles, um ihr Image aufzupolieren. Schnuppertage beim Notar, das Beglaubigen von Justin Bieber-Autogrammkarten oder der Werbestand am Rand eines Gothic-Festivals, um den Todessehnsüchtigen das Thema „Vererben“ näher zu bringen, nichts bleibt unversucht. Das Dramolett ist geprägt von Goldts fein ziselierten Formulierungen, aber auch seinem Gespür für absurde Situationen. Seine Stimme ein unaufgeregt-melodischer Fluss, sorgsam moduliert und in den Dialogen fein akzentuiert.
Seitlich dran vorbei
Es folgt ein älterer Text über ein Zusammentreffen des Autors und Musikers Goldt mit der Chansonsängerin Blandine Ebinger vor Jahrzehnten. Die Nervosität, mit der der noch junge Musiker bei der 90-Jährigen, Respekt einflößenden Diseuse die Genehmigung einzuholen gedenkt, einen ihrer Schlager elektronisch zu interpretieren, ist greifbar. Goldt lässt es sich nicht nehmen, den Song auch mehrfach, nach Aufforderung Ebingers immer lauter, zu intonieren. Nach einem längeren Text über Zusammenlegung der Kür zum „Unwort des Jahres“ mit der zum „sexiest Man alive“, der wiederum auf einem Katz & Goldt-Comic beruht, nimmt er in dem Klassiker „Der Zauber des seitlich dran Vorbeigehens“ jeglichen Kult der Vorweihnachtszeit auseinander. Und während man sich an Sätzen ergötzt wie „Bretterbuden mit aufgetackertem Fichtengrün, vor denen man, gruppenweise stehend, auf die dümmste Art, die Menschen möglich ist, minderwertige Lebensmittel verzehren kann“, und weiter der Beschreibung von mit Schalfusseln beflaumten Paradiesäpfeln folgt, wird einem plötzlich klar, was den neuen Texten zumindest dieses Abends fehlt: Als Nacherzählungen von Comics arbeiten sie sehr bildhaft, beschwören Situationen herauf – doch die Formulierungen, die von innen heraus leuchten, die kapriziöse Volten schlagen und abrupte Abschweifungen bieten, finden sich hier weit weniger als in der früheren Prosa Goldts.
Feine Brüche
Selbst vom Vortrag her wirkt Max Goldt an diesem Abend ein wenig fahrig. Feine, kaum wahrnehmbare Brüche, der Hauch eines Stolperns oder Stockens in der ausgefeilten Satzmelodie deuten auf eine gewisse Unkonzentriertheit hin. Während er in jungen Jahren mit dem altmodischen Nimbus des welterklärerenden Onkel Max kokettierte, ist da nun eine gewissen Onkelhaftigkeit in seine Bühnenpräsenz eingeflossen. Doch das ist Jammern auf einem hohen Niveau, denn die meisten lesenden Schauspieler steckt Goldt noch immer locker in die Tasche.
Das beweist er auch nach der Pause wieder in dem herrlichen Hörstück „24 Stunden-Diät“, in dem er virtuos die Satzmelodien variiert, in einem neueren Text über Homoehe und Frauenfußball oder dem Pamphlet über Todesfälle durch Rauchmelder. Man bekommt an diesem Abend auch nicht mehr so leicht das Bild aus dem Kopf von einer „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“-Version mit Beatrix von Storch. Und so macht man sich letztlich vielleicht nicht bis in die letzte Kritikerpore begeistert auf den Heimweg, doch beschwingt und erheitert allemal. Und was will man letztlich mehr in diesen Zeiten?
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