Ohrenbetäubender Lärm und die völlige Reizüberflutung der Augen. Wie ein Gladiator im römischen Kolosseum kommt sich der Besucher vor, eigentlich fehlen nur noch die Löwen. Dabei entsteht diese Assoziation ausschließlich aus den Vorgängen auf den Flachbildschirmen an der Wand, deren Bilder kaum fassbar sind und deren Geräuschkakophonie ein Verbleiben schwierig macht, auch zu einer körperlichen Anstrengung.
Zum Auftakt des Kulturaustauschprogramms „Klopsztanga. Polen_grenzenlos_NRW“ zeigt der Hartware MedienKunstVerein (HMKV) in der dritten Etage des Dortmunder U die seit 2009 immer weiter wachsende Installation „Democracies“ des polnischen Künstlers Artur Zmijewski. Körperlichkeit war immer Teil dessen Arbeit, so filmte er eine unheilbar kranke Frau, die nur unter Schmerzen ihren Alltag bewältigte, oder er schleuste Laiendarsteller in ein Konzentrationslager ein und filmte, wie sie in der ehemaligen Gaskammer nackt „Fangen“ (The Game of Tag, 1999) spielen. Jetzt werden die Zuschauer selbst vonextremen Ritualen demokratischer Öffentlichkeitenattackiert.
Die Videos dokumentieren scheinbar wahllos – und wahrscheinlich ist die Auswahl tatsächlich wahllos – politische Willensbekundungen im öffentlichen Raum. Żmijewski lässt sie nebeneinander aufgereiht aufeinanderprallen: Demonstrationen für das Recht auf Abtreibung oder mehr Lohn, aber auch Militärparaden, nachgestellte historische Schlachten, stockbesoffene Fußballfans grölen für Deutschland bei der EM im eigenen Land, selbst die Beerdigung Jörg Haiders wird für die Anhänger der Kärntner FPÖ zur Demonstration, „dass ihr Führer nicht sterben kann“. Alles findet gleichzeitig statt, doch niemals gleich, denn die Loops haben unterschiedliche Laufzeiten, die auch die Optik immer wieder verändern.
Formal hält sich Żmijewski damit aus den filmischen Sequenzen heraus, er produziert sie nicht, er nutzt die Gegebenheiten für die künstlerische Auseinandersetzung mit demokratischen Gesellschaftsformen, die sich zum Teil auch definieren als zwanghaft systemimmanenter Ausbruch unendlicher Positionen, deren Veröffentlichung heute Teil des Alltags, in der Summe aber bedeutungslos ist. Die schlüssigen Proteste lösen sich dagegen unter dem Strich auf, werden aufgesaugt von der Szenerie. Der Pole, derparallel auch die7. Berlin Biennalekuratiert, bleibt also auch in seiner installierten Tatbestandsaufnahme pessimistisch wie eh und je, die Demonstrationen verkommen zur Pose ohne Haltung, zur Aussage ohne Kausalität, im Dauerbeschuss werden sie wenigstens Kunst.
Ganz anders ist da, wenn die unter den Flachbildschirmen hängenden Kopfhörer benutzt werden. Jetzt punktiert der Besucher den flimmernden Kosmos, jetzt muss er die Intention der öffentlichenMeinungsäußerungen wahrnehmen, vereinzelt den Gruppen gegenübertreten. In vielen Fällen dürfte das ziemlich unangenehm werden.
Artur Żmijewski: Democracies I HMKV Dortmund I bis 22. Juli I 0231 496 64 20
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