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„Crash Box # 01“, Anne-Valérie Gasc, 2012
Foto: ©Anne-Valérie Gasc

Nie wieder Alkali-Kieselsäure-Reaktion

27. April 2017

Wichtige Wertschätzung des Beton-Brutalismus im Dortmunder HMKV – Kunstwandel 05/17

Luftiger Raum, weiter Blick, offene Flächen, kaum Stellwände – und hier soll im Hardware MedienKunstVerein (HMKV) die Gesellschaft zur Wertschätzung des Brutalismus (The Brutalism Appreciation Society) residieren? Was ist die überhaupt und wieso stehen da so Mini-Plattenbauten im Weg? Die Rätsel sind in Dortmund schnell entschlüsselt. In den dunklen 1950er Jahren entstand der so genannte „Brutalismus“ in Großbritannien. Architektur aus Sichtbetonwänden, die Baustoffe lagen frei. Man baute riesige Klötze für das Heer der Arbeiter, Fritz Langs Metropolis schien nichts dagegen. Auch in Deutschland setzte sich in den folgenden Jahrzehnten so etwas wie Brutalismus im Häuserbau durch, vom pseudomodernen Häuserkampf der Architektur war da noch nichts zu spüren. In NRW war beispielsweise die experimentelle „Neue Stadt Wulfen“ noch nicht einmal gedacht.

HMKV-Chefin Inke Arns kuratierte die Ausstellung „Gesellschaft zur Wertschätzung des Brutalismus“. Zu sehen sind in der dritten Etage des U 21 künstlerische Positionen, die sich nicht nur mit einem Betonbau-Retro, sondern auch mit den Ursachen einer Errichtung auseinandersetzen und die so heute eine neue Wertschätzung dieser ungeliebten Architektur propagieren. Der Schlüssel war sicherlich auch die namensgebenden Facebook-Gruppe, die sich bereits 2007 gegründet hat – in einer Zeit also, als Kommunen europaweit diese Bauten sprengten und so zum langsamen Zerbröseln des Brutalismus beitrugen. Diese anfangs kleine Gruppe hat heute über 25.000 Mitglieder. Ob tatsächlich der immer noch vorhandene ästhetische Reiz brutalistischer Bauten oder einfach nur das Dabeisein beim Soziale Medien-Hype Ursache für diese Masse sind, wird sich nicht klären lassen. Die Fokussierung auf architekturtheoretische Phänomene und ihre Ästhetik könnte darunter leiden.

Das erste was der Besucher im Dortmunder Kulturturm wahrnimmt, sind die bereits erwähnten Minibauten vom Berliner Street-Artisten Evol, er hat auf Porenbeton die Illusion kleiner Platten gesprüht. Wie Gulliver oder noch besser wie Godzilla kann man durch die fünf Wohnblöcke auf Paletten wandern. Etwas weiter sieht man schon die Skulpturen von Philip Topolovacs, der aus Kunststoff die Luftschächte der Prager U-Bahnschächten modellierte, an der Wand hängen C-Prints der Originale. Alle Bauten haben eine strenge stille Schönheit, eine Art Diversität der Gebrauchsbauten. Das Ende dieser speziellenÄsthetikversucht die Französin Anne-Valérie Gasc mit Kameras in orangenen Lkw-Zwillingsreifen festzuhalten. Die dokumentieren dann die Sprengungen der brutalistischen Bauten. Ganz anders geht der Österreicher Kay Walkowiak mit Beschädigungen um. In seinem Video „Minimal Vandalism“ (HD, 2013) lässt er den spanischen Profi-Skater Kilian Martin durch einen musealen Raum rollen und minimalistische Skulpturen ankratzen. Eine irre Artistik-Choreografie im Beton-Universum. Dessen Historie thematisiert Nicolas Moulin mit viel technischem Aufwand und drei Tageslichtprojektoren und der Erinnerung an Herman Sörgels „Atlantropa“-Staudammprojekt von 1928. Die HMKV-Ausstellung läuft völlig korrekt parallel zur Documenta in Kassel.

„Gesellschaft zur Wertschätzung des Brutalismus“ | bis 24.9. | HMKV, Dortmunder U | 0231 496 64 20

PETER ORTMANN

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