Während in anderen Städten Kultur-Baustellen noch führungslos dahindümpeln und an trauriger Berühmtheit arbeiten, läuft für die nagelneuen Konzertsäle in der Elbphilharmonie Hamburg (sehr berühmt) und im Kulturpalast in Dresden (nach langem Kampf) bereits der Kartenverkauf. Niemand ist aber bereits so weit vorn wie die fleißigen Saalbauer im Ruhrgebiet: Ein Bürgerfest eröffnet Ende Oktober das Musikforum in Bochum, den bürgerlichsten Konzertsaal Deutschlands.
Auch im Reich der BoSys wurde über Jahrzehnte von einem repräsentativen, dem eigenen hochgeschätzten Klangkörper angemessenen philharmonischen Konzertsaal geträumt. Verschiedene Besucher hatten bei der Erstbegehung des Raumes vor wenigen Wochen Tränen in den Augen. Der langjährige Chefdirigent Steven Sloane sprach aus dem Herzen: „Ich habe mich gleich wie zuhause gefühlt. Da bin ich richtig begeistert.“ Mit Brahms wurde der Saal sinfonisch angespielt, die akustischen Verhältnisse auf und vor der Bühne sind von immenser Wichtigkeit für die Gemütsstimmung der Musiker und ihres Dirigenten. Auch bei den Solisten spricht sich schnell herum, ob ein Saal etwas taugt – da kommt der Star gern oder sehr gerne.
Die Bürgernähe bei diesem Projekt, wo immerhin 20.000 Personen privat gespendet haben – 150 Sponsoren brachten allein über 10 Millionen Euro ein – kann intensiver nicht sein. Die Kooperation mit der städtischen Musikschule, die rund 10000 Schüler betreut mit 150 fest angestellten Lehrkräften, verbindet Musikpräsentation und Musikvermittlung – ein bereits vielfach gepflegtes modernes Musikmanagement, diesmal zwar aus der Not geboren, aber vorab geplant in der Architektur des Projektes.
Das Musikzentrum wird jetzt Probe- und Spielstätte der Bochumer Symphoniker, des Jugendsinfonieorchesters und der 80 Ensembles der Musikschule sein – ein kulturell bespielter Platz für Bochumer Musiker und kulturinteressierte Bürger. Von der Lesung bis zum Kammerkonzert, von der Ausstellung bis zum Poetry Slam, vom großen Symphoniekonzert bis zum offenen Singen – das Musikzentrum mit seinen drei Spielorten wird sich als vitaler kultureller Treffpunkt im Herzen der Stadt etablieren.
Als eine mit Essen und Dortmund konkurrierende Philharmonie ist dieser Bau nicht funktionsfähig, der Große Saal mit seinen knapp 1000 Plätzen kann keine Spitzenorchester finanzieren – muss er ja auch nicht. Wenn Plätze gebraucht werden wie beim Silvesterkonzert mit Beethovens Neunter, dann spielen die BoSys halt vier Mal hintereinander – so wurde es für den kommenden Jahreswechsel geplant. Und die Nachfrage wird durch die Neugierde der Bürger garantiert, die ihr neues Schätzchen mit Spitzenkultur erleben wollen.
Doch zunächst feiert Bochum vom 27. bis zum 30. Oktober das Anneliese Brost Musikforum Ruhr mit einem großen Bürgerfest. Der Komponist Stefan Heuke hat ein großbesetztes chorsinfonisches Werk geschaffen, aber auch Mahlers „Titan“, Strawinskys „Feuervogel“ oder Bartóks 2. Violinkonzert mit Frank-Peter Zimmermann, dem Weltgeiger aus dem Pott, werden wieder Tränen in die Augen treiben – Bochum hat sein Ziel erreicht.
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