trailer: Herr Chuang, haben Sie Ihre Umzugskartons für Bochum schon gepackt?
Tung-Chieh Chuang: Es geht nicht ganz so schnell, wie ich das möchte. Das Haus, in das wir einziehen werden, wird noch bis Oktober fertiggebaut. Deshalb beginnt mein neues Leben in Bochum wohl im Hotel.
Ich habe gelesen, dass Sie eine kleine Tochter haben. Müssen Sie jetzt auch noch eine Schule suchen?
Meine Tochter geht noch in die Kita. Sie ist fünf. Wir haben glücklicherweise auch schon einen Platz für sie in Bochum. In Berlin haben wir einige Jahre darauf gewartet.
Wann hatten Sie Ihren ersten Musikunterricht?
Mit fünf oder sechs habe ich mit dem Klavierspielen angefangen. Es war eine Yamaha-Klavierschule mit vielen Schülern in einer Klasse in Taiwan. Wir haben Klavierspielen auf Grundlage der Harmonien und Akkorde gelernt.
Das Yamaha-System ist ein spezielles Unterrichtskonzept aus Japan. In Ihrem Fall scheint es ja erfolgreich gewesen zu sein…
Ja, das ist ein gutes System, finde ich.
Sie haben mit elf Jahren schon Ihr erstes öffentliches Konzert gegeben. Wann führen Sie Ihre Tochter an die Musik heran?
Schwierige Frage. Eigentlich haben wir damit schon angefangen, ihr Geigespielen beizubringen. Aber erstmal ganz behutsam. Nicht so intensiv, wie wir es selber in unserer Kindheit erlebt haben. Ich weiß gar nicht, ob man schon von richtigem Unterricht sprechen kann. Aber wir haben damit begonnen, sie mit Musik in Berührung zu bringen: mit Singen und einem bisschen Notenlesen.
Und es interessiert sie?
Ja, sie hat die musikalische DNA, glaube ich. Sie konnte schon von klein auf sehr gut singen. Sie hat sofort die Töne und den Rhythmus getroffen, ohne dass wir ihr das beibringen mussten. Sie erfasst Melodien ziemlich perfekt. Aber wir glauben, dass sie auch noch andere Talente hat und wollen sie nicht ausschließlich auf Musik fixieren. Deswegen lassen wir es langsam angehen. Sie soll einfach so viel wie möglich ausprobieren.
Sie selber waren in Ihrer Familie immer von Musikern umgeben…
Ja, das stimmt. Mein Großvater, mein Vater, mein Bruder, auch meine Frau und meine Schwägerin: Alle sind wir Musiker. Beinahe die ganze Familie. Meine Frau ist Violinistin.
Ab dem 1. August sind Sie der neue Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker. Inwieweit tragen die Konzertprogramme der kommenden Spielzeit schon Ihre Handschrift? Oder hat Steven Sloane das Kommende noch mitgeprägt?
Nein, nein. Das ist schon alles von mir, was jetzt kommt. Ich denke, das Publikum wird beim Hören sofort merken, dass es einen Wechsel gegeben hat.
Das müssen Sie näher erklären.
Wir werden uns in jeder Konzertsaison ein besonderes Thema suchen. In meiner ersten Saison beginnen wir mit einer Reihe, die ich „Von Herzen“ genannt habe. Darin werden wir Musikstücke präsentieren, die mir persönlich am Herzen liegen. Das ist Musik, die mich zu dem Musiker geformt hat, der ich heute bin.
Ein großer Teil des Erfolges, den die Bochumer Symphoniker in den vergangenen Jahren hatten, bestand auch in Crossover-Projekten etwa mit Rockmusikern wie Sting und Jethrow Tull. Möchten Sie das fortsetzen?
Auf jeden Fall. Aber nicht nur mit Popmusik. Ich bin auch für alles andere Genreübergreifende offen. Eine der größten Qualitäten der Bochumer Symphoniker ist ihre Vielfältigkeit. Das Orchester ist überaus flexibel – im bestmöglichen Sinne. Wir haben sehr vielfältige Persönlichkeiten im Orchester, die sich sehr gut mit anderen Kunstformen arrangieren können. Und deshalb werden wir uns ab der ersten Saison auf eine gemeinsame Erkundung chinesischer Musik und alter chinesischer Instrumente machen. Im ersten Jahr wird das die Pipa sein, eine gezupfte Laute mit mehr als 4000-jähriger Geschichte.
Die chinesische Musik ist ja ein sehr weites Feld. Sie ist so unterschiedlich, wie das Land groß ist.
Oh ja. Vor allem aber ist die Philosophie hinter chinesischer Musik generell sehr unterschiedlich zu westlicher Musik. Mir ist da auch vieles fremd. Denn mein Herz liegt viel näher an der westlichen Musik. Ich bin mit der chinesischen Musik erst mit 16 Jahren in Berührung gekommen. Ich bin also kein Experte. Ich möchte mich gemeinsam mit dem Orchester und dem Publikum auf Entdeckungstour machen. Ich hoffe, das Publikum teilt unsere Begeisterung.
Als Steven Sloane vor 27 Jahren nach Bochum kam, war es noch recht schwierig, das Publikum für neue Musik – besonders für zeitgenössische westliche Musik – zu begeistern. Glauben Sie, das hat sich grundsätzlich geändert?
Ich fürchte, so viel hat sich da beim Publikum nicht geändert – was absolut schade ist. Denn neue Musik ist ja ein großes Geschenk für die klassische Musik. Bei alter Musik können wir mit den Komponisten nicht mehr in zwischenmenschlichen Austausch treten. Bei zeitgenössischer Musik aber kann der Komponist auf der Bühne sitzen, und wir können mit ihm reden. Und da habe ich wirklich großen Ehrgeiz, dass wir einen solchen Austausch erleben werden. Dabei geht es gar nicht unbedingt darum, dass wir eine Komponistin oder einen Komponisten ausfragen über die Musik, sondern dass wir ihnen mitteilen können, wie wir ihre Musik erleben. Musik ist ein Spiegel der Gesellschaft. Es spielt durchaus eine Rolle, dass wir im Zeitalter von schnellem Internet leben. Die Leute kommen nicht einfach in den Konzertsaal und hören nur zu. Sie bringen ja ihre Erfahrungen aus ihrem normalen Leben mit, und das beeinflusst wiederum uns als Musiker und wie wir Musik aufführen. So ist es im Idealfall. Und neue Musik ist näher an diesem Zustand als alte, einfach weil Publikum und Komponisten ein Teil ihrer konkreten Erfahrungen und Gefühle teilen.
Ist Musik damit auch politisch?
Ich mag das Wort „politisch“ in diesem Zusammenhang nicht. Es geht ja um den Zustand unseres Herzens. In gewisser Weise kann man das sicher „politisch“ nennen. Aber nicht in einem konfrontativen Sinne von Politik. Wenn wir sagen: Es ist immer gut, in einen Austausch zu treten und auch das zu akzeptieren, was ich vielleicht anders sehe – dann ist das sicher auch politisch.
Sie kommen aus Taiwan und treten aber auch in der Volksrepublik China auf. Geraten Sie da nicht automatisch in ein politisches Umfeld?
Ja, das spielt schon eine Rolle. Wenn ich in China bin, versuche ich jemanden zu verkörpern, der aus einem freien und demokratischen Land kommt. Vor allem bei der Probenarbeit mit den Orchestern versuche ich das zu vermitteln. Ich höre den Musikern zu und bin immer sehr interessiert zu erfahren, was sie über ihr eigenes Leben in diesem völlig anderen politischen System denken. Und da haben wir als Musiker den Vorteil, dass wir über die Begrenztheit der Sprache hinausgehen können. Und da liegt auch mein Anspruch als Musiker: Ich möchte, dass Menschen sich über die Musik besser verstehen.
Also ist es kein Problem mehr für einen Künstler aus Taiwan in China zu arbeiten?
Eigentlich nicht. Ich war jetzt wegen Corona länger nicht dort, aber vorher gab es keine Probleme. Allerdings ist es regional sehr unterschiedlich. In der Hauptstadt Peking ist man politisch immer sehr korrekt. Da wird dann nicht darüber gesprochen, dass ich aus Taiwan komme. In Peking ist alles politisch, und man reagiert auf alles sehr empfindlich. Aber in Shanghai gibt es damit überhaupt keine Probleme. Dort leben sie viel freier. Wir haben dort eine CD aufgenommen und sogar im Booklet steht, dass ich aus Taiwan komme.
Sie sind noch sehr jung für einen Generalmusikdirektor. Wie gelingt es, junge Leute in klassische Konzerte zu locken?
Ich habe in Bochum bereits ein Konzert für Kinder gegeben. Als Chefdirigent machen Sie so etwas normalerweise eher selten. Aber ich will das fortsetzen. Wir müssen die Kinder ernst und wichtig nehmen. Sie sind unser zukünftiges Publikum. Und wenn wir wollen, dass sie in 20 Jahren in unsere Konzerte kommen, dann sollte ihr erstes klassisches Konzert von hoher Qualität sein. Wenn wir für Kinder spielen, muss es so großartig wie irgendmöglich sein.
Konzerte:
Sa 28.8. 20 Uhr | „Visionary Architects“ | Ruhrtriennale
So 1.9. 20 Uhr | Antrittskonzert | Anneliese-Brost-Musikforum Ruhr
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