Aufrütteln, anregen, vorführen: Kunst gibt Impulse. Dazu muss man sie machen lassen. Wenn heute vermeintliche Patrioten gegen Missliebiges zu Felde ziehen, sollten sie wissen, dass Kunstfreiheit ein Leitbild deutscher Geistesgrößen wie Kant und Schiller war. Für sie war klar und unverrückbar, dass Kunst moralische Wirkung hat – streng geschieden vom Glauben, das sei ihre Aufgabe. Denn „Aufgabe“ riecht nach Pflicht, nicht nach Freiheit.
Nun war Schiller kein Aktivist. Zwar lassen seine „Räuber“ sich als politische Rebellen lesen (und heute inszenieren). Sein Verständnis von politischer Kunst war aber umfassender. Die Abhandlung „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ beschreibt sittliche Bildung und Verfeinerung, vermittelt durch die Erfahrung des Kunstwerks. Abhold war er aber jedem pädagogischen Eifer: „Nichts streitet mehr mit dem Begriff der Schönheit, als dem Gemüt eine bestimmte Tendenz zu geben.“
Tendenzfrei und doch politisch? Was diese klassische Haltung mit engagierter Kunst heutzutage verbinden mag, ist der Gedanke der Autonomie. Was der Weimarer „harmonische Subjektivität“ nannte, meint sicher auch Schaffen nach Gutdünken, freie Wahl von Sujets und Mitteln. Narrenfreiheit im besten Sinn. Und darauf bauen auch Künstler mit Mission – sei ihr Thema Antirassismus oder Umweltschutz.
Heute, mit den partizipativen Möglichkeiten des Internets, aber auch mit der Macht der Straße, muss Kunst sich anscheinend rechtfertigen. Die Motive sind nicht zwingend gestrig; wie noch beim AfD-Protest gegen ein documenta-Monument zur Zuwanderung. Kontra erfährt Kunst auch von progressiver Seite: An der Berliner Alice-Salomon-Hochschule sorgte Kritik an Männlichkeitsfixierung dafür, dass ein Gedicht des Lyrikers Eugen Gomringer von der Hausfassade entfernt wurde. Es ist billig, so einen Eingriff als bloß barbarischen Bildersturm zu denunzieren. Wer sich in den öffentlichen Raum wagt, muss mit Reaktionen rechnen, auch entschiedenen und von unerwarteter Seite. Doch ein Eingriff bleibt es, und Eingriffe gegen Kunstwerke laufen quer zum Schutzgut Kunstfreiheit.
„Machen lassen“ als Freibrief für Künstler: Das garantiert für nichts und ist nicht ohne Risiko, aber doch unverzichtbar. Nicht zuletzt mag, was kreativen Köpfen entspringt, sehr wohl konkret politisch wirken. Zur Zuwanderung gab es dazu 2015 ein Beispiel in Düsseldorf-Oberbilk: Unter dem Titel „Wo Milch und Honig fließt“ führte ein von Künstlerinnen konzipierter Audio-Rundgang ganz real durch die Straßen des Maghreb-Viertels, angelehnt ans Schicksal geflüchteter Neubürger – und fast so verwirrend. Es war ein Projekt, das nicht monumental daherkam und Migration fassbar machte. Ein bisschen Verrücktheit gehörte auch hier dazu, etwa mit einem fingierten Boxkampf, der bohrende Fragen von Amts wegen darstellte. Wie ginge derlei ohne künstlerische Freiheit?
Dass Autonomie in letzter Konsequenz Zerstörung des eigenen Werks heißen darf, rief jüngst der Künstler Banksy in Erinnerung, als er sein hoch gehandeltes Bild in der Auktion schredderte und damit auch einen Kommentar zum Kunstmarkt abgab. Zerstörung von Kunst kann kaum die Antwort sein. Es sei denn, der Künstler gibt sie selbst.
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